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Juden in Vorarlberg

Die archäologisch nachgewiesene Existenz verschiedener orientalischer Kulte in Brigantium macht es wahrscheinlich, dass schon in der Römerzeit vereinzelte Juden in Vorarlberg gelebt haben. Angeblich stammte der heilige Florinus, einer der Patrone des Bistums Chur, von einer jüdischen Mutter ab. Gesichert ist, dass im Frühmittelalter der Handel vielfach durch jüdische Reisende ausgeübt wurde, die auch Vorarlberg mit verschiedenen Gütern versorgten.
Zur ersten urkundlich nachweisbaren Niederlassung von Juden kam es um 1310 in Feldkirch. Die Grafen von Montfort-Feldkirch hatten sich ab 1286 wiederholt bei Juden in Lindau, Konstanz und Überlingen Geld ausgeliehen; denn wegen des nach dem Kirchenrecht bestehenden Verbotes, Geld gegen Zinsen zu verleihen, hatten die Juden im Geldhandel eine Monopolstellung inne. Die aufstrebenden Städte, zu denen auch Feldkirch gehörte, brauchten damals Juden, um den Kredithandel zu beleben. In der Folgezeit führte die Stadt Feldkirch eine Reihe von rechtlichen Bestimmungen ein, die den Geldhandel der Juden erleichtern sollten; sie alle fanden Aufnahme in das Feldkircher Stadtrecht. Vermutlich kamen diese ersten Juden aus Konstanz nach Feldkirch, wo um 1310 ein gewisser Eberlinus Judaeus drei Hofstätten innerhalb der Stadtmauern besaß. Die Feldkircher Juden blieben auch stets ein Teil der jüdischen Großgemeinde 'medinat bodase' (= Bezirk Bodensee), deren Zentrum in Überlingen lag. Der dort erstmals 1226 nachweisbare jüdische Friedhof wurde auch von den Feldkircher Juden benutzt. Die Zahl der Juden in Feldkirch dürfte im frühen 14. Jahrhundert 30 bis 40 Personen umfasst haben, muss aber weiter gestiegen sein, weil 1343 mehrere jüdische Familien nach Bludenz auswandern wollten. Der Stadtherr erhob jedoch mit Erfolg Einspruch gegen diese Abwanderung "seiner" Juden, zumindest beanspruchte er ihr Hab und Gut. Schon wenige Jahre später fand diese erste jüdische Gemeinde in Vorarlberg ihr Ende. Man machte die Juden für eine damals ausgebrochene Pest verantwortlich und beschuldigte sie, die Brunnen vergiftet zu haben. Auf der Folter erpresste Geständnisse führten in ganz Mitteleuropa zu Judenverbrennungen, auch in Feldkirch, wo am 21. Januar 1349 alle Juden verbrannt wurden.

Noch im selben Jahr zeigte sich aber, dass man ohne die Kredite der Juden nicht auskommen konnte: Die gesamte Stadt Feldkirch brannte nieder und man brauchte Geld für den Wiederaufbau. So versuchte man durch eine noch liberalere Gestaltung des Stadtrechts für die Juden einen Anreiz zu schaffen, sich in Feldkirch wieder niederzulassen. Handgreiflichkeiten gegenüber Juden wurden jetzt besonders streng geahndet. 1354 konnte sogar eine Jüdin namens Toltza, eine Überlebende des Massakers von 1349, vor dem Landgericht in Rankweil einen Prozess um ihr enteignetes Vatererbe führen. Doch sehr viel Erfolg hatten die Feldkircher mit ihren Bemühungen nicht; die Juden blieben vorerst aus.

Erst um 1380 ließen sich wieder Juden in größerer Zahl im Bodenseegebiet nieder – besonders in Zürich und Konstanz, Einzelne auch in Feldkirch –, die jedoch eng mit den Konstanzer Juden verbunden blieben. Wie zuvor nahmen diese Juden führende Positionen im Geldhandel ein. Erneute Verfolgungen führten 1443/48 zu einer Vertreibung der Juden aus allen Städten des Bodenseegebietes.

Vorarlberg blieb für lange Zeit eine Region ohne Juden, die erst im 17. Jahrhundert wieder Fuß fassen konnten. Die aus den Städten vertriebenen Juden suchten Zuflucht auf dem Land: es entstand das so genannte Landjudentum. Das Kreditgeschäft trat zurück, stattdessen handelten die Juden jetzt mit Pferden, Vieh, landwirtschaftlichen Produkten, Textilien, Leder, Metallen usw. Die Stadt Feldkirch ließ weiterhin keine Juden zu, sodass diese 1617 in Hohenems Aufnahme suchten. Die dortige Judengemeinde konnte sich bis ins 20. Jahrhundert behaupten, ja sogar zu recht ansehnlicher Größe entwickeln. Während des Dreißigjährigen Krieges ließen sich 1635/40 jüdische Flüchtlinge vorübergehend in der Herrschaft Feldkirch (Tisis, Rankweil, Götzis, Mäder, Gaißau, Fußach) nieder, 1637/44 auch in der Herrschaft Blumenegg (Thüringen, Ludesch) und 1637/51 am Eschnerberg (Mauren, Eschen). Dauer war aber nur der Hohenemser Judengemeinde beschieden. Auch diese musste, bedingt durch Spannungen mit dem Grafen, 1663/67 in Altenstadt und 1676/88 in Sulz ein Exil suchen. 1688 blieben aber die drei reichsten Juden in Sulz und bildeten dort bis 1744 eine weitere jüdische Gemeinde auf Vorarlberger Boden. Auch diese konnte sich anfangs gut entwickeln und 1738 sogar eine Synagoge einrichten; 1744 fiel sie jedoch einer gewaltsamen Vertreibung zum Opfer: das Ergebnis einer langjährigen judenfeindlichen Politik der Vorarlberger Landstände, die 1750 von der Kaiserin Maria Theresia ein Privileg erwirkten, dass die Juden auf ewige Zeiten aus Vorarlberg ausgewiesen sein sollten und dort auch keinen Handel mehr betreiben durften. Die Sulzer Juden fanden zunächst im Fürstentum Liechtenstein und später in Hohenems Aufnahme. Nach dem Übergang von Hohenems an Österreich erließ Maria Theresia 1769 einen neuen Schutzbrief, der die Juden stark einschränkte und ihnen nur mehr den Handel in Hohenems und Lustenau gestattete. Dennoch nahm die Hohenemser Judengemeinde dank der aufgeklärten Beamtenschaft eine positive Entwicklung. 1770/72 konnte erstmals in Hohenems eine Synagoge errichtet werden, die in ihrer Substanz heute noch vorhanden ist.

Unter der bayerischen Herrschaft machte die Emanzipation der Hohenemser Juden große Fortschritte. Ein Gesetz von 1813 führte die Familiennamen ein. Man passte sich an, gab die jiddische Sprache zu Gunsten des Deutschen auf. Die Juden konnten jetzt Berufe in Handwerk und Landwirtschaft erlernen oder auch studieren. Besonders viele rzte gingen aus der Hohenemser Judengemeinde hervor, unter ihnen auch der weltberühmte Eugen Steinach. Wie sehr das Selbstbewusstsein der Juden gestiegen war, mag man ihrer Forderung entnehmen, dass sie nach 1815 eine eigene Vertretung im Vorarlberger Landtag beanspruchten. Es dauerte jedoch bis 1867, ehe die Juden ihre rechtliche Gleichstellung in Österreich erlangten.

Das Gleichstellungsgesetz von 1867 führte zur Auflösung des Landjudentums und damit auch der Gemeinde Hohenems. Diese zählte um die Jahrhundertmitte noch über 500 Personen, um 1890 waren es nur mehr 118, 1910 noch 66, 1934 nur mehr 18. Viele Juden zogen jetzt vom Land wieder zurück in die Städte, wo sie die besseren Chancen für ihre Berufsausübung hatten. Hohenems, das noch im 19. Jahrhundert Sitz eines Rabbinates für ganz Tirol und Vorarlberg gewesen war und dessen Rabbiner die Juden auch in Bozen, Meran, Arco, Trient und Rovereto betreuten, musste um 1914 den Rabbinatssitz nach Innsbruck abgeben.

Um die Jahrhundertwende sahen sich die Juden starken antisemitischen Strömungen ausgesetzt, die auch in der Zwischenkriegszeit anhielten. 1938 lebten in Vorarlberg noch 27 Juden, davon 14 in Hohenems. Soweit ihnen nicht die rechtzeitige Flucht in die Schweiz gelang, wurden sie 1941 zwangsweise umgesiedelt; die meisten wurden in Theresienstadt ermordet.

Nach 1945 kamen vorübergehend Ostjuden nach Vorarlberg, die in Bregenz und Hohenems Gemeinden bildeten. Die Mehrzahl dieser Juden wanderte nach Israel aus, sodass sich diese Gemeinden bald wieder auflösten. Die ungenutzte Synagoge in Hohenems wurde erst 1954 in ein Feuerwehrhaus umgewandelt. 

Die wiederholten Verfolgungen und Vertreibungen der Juden haben in Vorarlberg zu einem weit gehenden Untergang auch ihrer Kulturgüter geführt. Ein überreicher Fundus an hebräischen Handschriften, jiddischem Schrifttum, religiösen Kunstgegenständen und vieles andere mehr ging für immer verloren. Wir betrachten heute diese Kulturgüter als einen Teil unseres eigenen kulturellen Erbes. Das Land Vorarlberg hat deswegen, gemeinsam mit der Republik Österreich und der Stadt Hohenems, 1991 das Jüdische Museum Hohenems eröffnet, dessen Aufgabe es ist, die Geschichte der Juden in Vorarlberg zu erforschen, die Spuren jüdischer Vergangenheit zu sichern und zu erhalten und diese kulturellen Werte des Judentums einer breiten Bevölkerungsschicht näher zu bringen. K.H.B.

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Bild: Darstellung einer Judenverbrennung in der Schedelschen Weltchronik, Nürnberg 1493
Darstellung einer Judenverbrennung in der Schedelschen Weltchronik, Nürnberg 1493
Bild: Juden und Christen lebten in Hohenems in getrennten Gassen.
Juden und Christen lebten in Hohenems in getrennten Gassen.
Bild: Innenansicht des Museums
Innenansicht des Museums
Bild: Das Jüdische Museum in Hohenems
Das Jüdische Museum in Hohenems
Bild: Der jüdische Friedhof von Hohenems
Der jüdische Friedhof von Hohenems