Die Grafen von Hohenems
Die Herren (seit 1560 Grafen) von Ems (später Hohenems) sind neben den Grafen von Montfort das bedeutendste Adelsgeschlecht in Vorarlberg. Ursprünglich waren sie Reichsministeriale im Dienst der Staufer und der Welfen. Sie waren mit der Burghut der um 1130 in einem königlichen Forstgebiet ('Pirsch') erbauten Reichsburg Ems und der Sicherung der Reichsstraße nach Italien beauftragt. Kaiser Heinrich VI. vertraute den seit 1180 urkundlich nachweisbaren Reichsdienstmannen 1195 den geblendeten und entmannten Normannenkönig Wilhelm III. von Sizilien, den Sohn des Tankred von Lecce, zur Bewachung auf der Burg Ems an, wo dieser 1197 starb. Es gelang den Emsern, durch Darlehen an die Könige Rudolf von Habsburg, Ludwig den Bayern (1333, 1343) und Karl IV. (1348) Reichspfandschaften in ihre Hand zu bringen, die später in erbliche Reichslehen umgewandelt wurden. Durch die Verleihung des Blutbanns 1430 und 1434 konnten sie den zielstrebigen Aufbau eines kleinen reichsfreien Territoriums abrunden. So erlangten sie 1333 ein (allerdings nicht realisiertes) Stadtrechtsprivileg für den Ort Ems, 1343 ein Privileg zum Bau einer weiteren Burg (Neuems, Glopper). Nach 1354 erwarben sie das von Walsern besiedelte Bergdorf Ebnit und bauten diesen Besitz 1395 durch die Erwerbung der Pfandschaft über den Reichshof Lustenau (mit Widnau und Haslach) sowie bedeutender grundherrlicher Rechte in Dornbirn (1318, 1388) und Wolfurt (1458) aus. Durch Kauf wurde der Reichshof Lustenau 1526 zum emsischen Eigentum (Allod).
Der weitere Aufstieg der Emser ergab sich aus dem engen Dienstverhältnis zu den Habsburgern, die 1363 die Herrschaft Neuburg und 1375/90 die Grafschaft Feldkirch erwarben und damit in Vorarlberg Fuß fassten. Als Vögte der Habsburger und erfolgreiche Landsknechtsführer, aber auch durch raubritterliche Praktiken kamen sie zu erheblichem Reichtum und Einfluss, der sich mit dem Ausbruch der Reformation noch wesentlich verstärkte, als Märk Sittich I. (1466–1533), nicht zuletzt durch seine eheliche Verbindung mit einer Schwester des mailändischen Condottiere Gian Giacomo Medici († 1555), zu einem eifrigen Verfechter gegenreformatorischer Bestrebungen wurde und entscheidend für die Erhaltung des katholischen Glaubens in Vorarlberg eintrat. Märk Sittich I. hatte auch einen maßgeblichen Anteil am Sieg Kaiser Karls V. in der Schlacht von Pavia 1525 sowie an der Unterdrückung des Bauernkrieges. Auch spielte er 1523 eine wesentliche Vermittlerrolle beim Ankauf der montfortischen Teile der Grafschaft Bregenz, mit der Österreich seine beherrschende Position in Vorarlberg abrunden konnte. Als Vögte der österreichischen Herrschaften Bludenz und Bregenz, später auch Feldkirch, dann als Pfandherren der Herrschaft Neuburg (seit 1589) wurden die Emser zu einer führenden politischen Kraft im Lande. Der Konstanzer Domherr Georg Sigmund von Ems (1494–1547), ein Sohn Märk Sittichs I., war 1532 von König Ferdinand I. zum Kandidaten für das Bischofsamt in Konstanz ausersehen, wurde aber nicht gewählt; gleichwohl deutete sich hier bereits der Höhenflug der Familie an.
Der weitere gesellschaftliche Aufstieg des Hauses hatte seine Wurzeln in der Verwandtschaft mit den Medici in Mailand: Gian Angelo de Medici wurde 1559 zum Papst Pius IV. gewählt († 1565). Während Kaiser Ferdinand I. sich beeilte, die Herren von Ems mit der Begründung in den Reichsgrafenstand zu erheben, "daß gemelte von Embs der jetzigen päpstlichen Heiligkeit Papst Pio IV., unserem lieben Herrn, mit nahender plutsfreundschaft verwandt", versorgte der Papst seine Nepoten: Aus der Mailänder Verwandtschaft wurde Carlo Borromeo zum Kardinal und Erzbischof von Mailand erhoben, aus der Emser Verwandtschaft der bisherige Landsknechtsführer Märk Sittich III. (1533–1595) zum Kardinal und Bischof von Konstanz; er verbrachte den größten Teil seines Lebens in Rom, wo er sich als Mäzen und Schöpfer bedeutender Kunstbauten einen Namen machte. Sein Bruder Jakob Hannibal I. (1530–1587), der zuerst über die Heirat mit einer spanischen Prinzessin das Fürstentum Salerno erhalten sollte, heiratete eine Stiefschwester des Carlo Borromeo und stieg zum Generalgubernator der Truppen des Kirchenstaates auf. Viele Jahre stand er auch als Kriegsobrist in den Diensten des spanischen Königs Philipp II. (Flandern, Frankreich, Marokko, Maastricht). Zwei Jahre war er Garnisonskommandant in Antwerpen, von wo er zahlreiche Kunstwerke in die Heimat schickte. Philipp II. übertrug ihm 1578 die lombardische Herrschaft Gallarate, die bis 1655 im Besitz der Grafen von Hohenems verblieb.
Von den Söhnen Jakob Hannibals I. wurde Märk Sittich IV. (1575–1619) 1612 Erzbischof von Salzburg, in welchem Amte er seinen Vetter Wolf Dietrich von Raitenau (1559–1617) ablöste. Als Salzburger Erzbischof legte Märk Sittich den Grund für den heutigen Salzburger Dom und erbaute das Lustschloss Hellbrunn mit seinen ausgedehnten Parkanlagen und Wasserspielen. Dagegen machte sich Graf Kaspar (1573–1640) vor allem um die Festigung des emsischen Territoriums verdient. War der dörfliche Flecken Ems schon seit 1560 vom italienischen Baumeister Martino Longo durch die Errichtung eines Renaissancepalastes und die Anlage von Gärten, Tiergärten und Fischweihern zu einer Residenz umgestaltet worden, so ließ Graf Kaspar den Ort 1605 zu einem Markt erheben (unter neuerlicher Bestätigung der Stadtrechtsprivilegien von 1333). Zugleich errichtete er hier eine Lateinschule, 1616 auch die erste Buchdruckerei im Lande und berief zur Förderung des Handels Juden nach Hohenems, die ab 1617 hier eine blühende Gemeinde errichteten. Das Hohenemser Schwefelbad wurde zu einer viel besuchten Stätte des Fremdenverkehrs ausgebaut und von zahlreichen Adeligen und hohen Geistlichen besucht. 1613 gelang es dem Grafen Kaspar, die Herrschaften Vaduz und Schellenberg (das heutige Fürstentum Liechtenstein) anzukaufen. Daraus erwuchsen Ansprüche auf eine Herrschaft über ganz Vorarlberg, wie sie Graf Kaspar in einer 1616 veröffentlichten Landkarte unmissverständlich zum Ausdruck brachte und in der "Emser Chronik" seines Kanzlers Johann Georg Schleh propagandistisch darstellen ließ. Gefordert wurde ein Land in den Grenzmarken Arlberg, Bodensee, Silvretta und Rheintal, in dem "Rhetianische Lantsart" herrsche; zugleich führten die Hohenemser Grafen ihre Ursprünge auf eine rätisch-etruskische Abstammung zurück. Die politische Umsetzung dieser Pläne lief in die Richtung, die Gerichte Dornbirn und Höchst-Fußach anzukaufen, ebenso die Pfandschaft Neuburg in Eigentum umzuwandeln, diesen Besitz durch den Kauf der österreichischen Dörfer Götzis, Mäder, Meiningen u.a. abzurunden und zu einem geschlossenen, zu einem Fürstentum zu erhebenden Grenzstaat zu machen, dessen politische Zukunft im Status eines der Eidgenossenschaft zugewandten Ortes hätte bestehen können; doch scheiterten solche Expansionsbestrebungen am Widerstand der Vorarlberger Landstände, aber auch der Militärexperten, die zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges einen französischen Einfluss in diesem emsischen Staat befürchten mussten.
Nach dem Tod des Grafen Kaspar zerfiel der emsische Staat. Der Dreißigjährige Krieg förderte diesen Verfall sicherlich, vor allem aber war er auf die Verschwendungssucht der Grafen zurückzuführen, die häufig am Hofe des Kaisers lebten und versuchten, durch eine über ihren Verhältnissen liegende Repräsentation doch noch ihr Ziel zu erreichen, in den Reichsfürstenstand erhoben zu werden. Die wachsende Verschuldung zwang die Grafen zum Verkauf von Gallarate (1655) und Vaduz-Schellenberg (1699). Mit dem Tod der beiden letzten männlichen Nachkommen dieses Geschlechtes, des k.k. Feldmarschalls Franz Rudolf (1686– 1756) und des k.k. Generalmajors Franz Wilhelm (1692–1759), fiel das Reichslehen an den Kaiser zurück, der es für Österreich in Anspruch nahm. Die 1765 übernommene Landeshoheit führte jedoch nicht zu einer staatsrechtlichen Vereinigung mit Vorarlberg; Hohenems verblieb vielmehr im Schwäbischen Kreis. Der hohenemsische Allodialbesitz kam über die Grafen Harrach an die Grafen Waldburg-Zeil.
Die von Höhepunkten und Tiefen gekennzeichnete Familiengeschichte des Adelsgeschlechtes von Ems zu Hohenems, dessen Wappen im heutigen Gemeindewappen der Stadt Hohenems fortlebt, darf insgesamt als eine bedeutende Bereicherung der Vorarlberger Landesgeschichte gesehen werden. Es ist nicht nur die Eigenart der Adelskultur, die in Bauten, in Kunstsammlungen und nicht zuletzt auch in der reichhaltigen Bibliotheca Embsiana, wo im 18. Jahrhundert die Handschriften A und C des Nibelungenliedes aufgefunden wurden, ihren Niederschlag gefunden hat. Der Versuch der Emser, ihre Eigenständigkeit über die Jahrhunderte zu bewahren, verdient unsere Achtung. Die Vision des Grafen Kaspar von einem unabhängigen Fürstentum im Schutz der schweizerischen Neutralität war mehr als eine Illusion: sie wurde im 19. und 20. Jahrhundert durch das Fürstentum Liechtenstein zur politischen Wirklichkeit. K.H.B.
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