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Rheinüberschwemmungen

1206 wurde die Lustenauer Pfarrkirche durch die Hochwasser des Rheins zerstört. Dies ist die älteste Nachricht über eine Überschwemmungskatastrophe im Rheintal. Aus der Zeit vor 1700 besitzen wir nur sehr wenige Quellen über ähnliche Unglücksfälle. Zwischen den Rheinquellen und dem Bodensee sind für die Jahre 1276, 1343, 1374, 1480, 1511, 1537, 1548, 1566, 1571, 1585, 1609, 1618, 1627, 1640 und 1670 Hochwasser bzw. Überschwemmungen bezeugt. 1548 wurde dabei die Lustenauer Pfarrkirche ein zweites Mal weggeschwemmt; 1566 erreichte das Hochwasser im ganzen Talgebiet ein Ausmaß, dass es viele Leute gab, die 'eine zweite Sintflut nahe bevorstehend glaubten'.

Ab 1739 häufen sich die Berichte von Rheinüberschwemmungen. Die Überschwemmungs- chronik zählt für das 18. Jahrhundert siebzehn, für das 19. Jahrhundert sogar mehr als zwanzig Hochwassereinbrüche im Rheintal auf. Lange Zeit versuchte man diese Erscheinung einseitig auf lokale oder regionale Ursachen zurückzuführen, etwa das relativ unkoordinierte Errichten von Dämmen und Wuhren, was zur Erhöhung der Rheinsohle beitrug, oder das Abholzen der Wälder in den Quellgebieten des Rheins, welches zur Bodenerosion führte. Neuere Forschungen, vor allem jene zur Klimageschichte, zeigten allerdings, dass der entscheidende Faktor, der zur Häufung der Rheinüberschwemmungen führte, die als "kleine Eiszeit" bezeichnete Klimaveränderung zwischen 1560 und 1860 war. So konnte insbesondere nachgewiesen werden, dass jenen Zeitabschnitten, in denen sich die Überschwemmungen häuften, jeweils ausgedehnte Gletschervorstöße vorangingen. Dass lokale Hochwasserkatastrophen oft Teil überregionaler Naturkatastrophen sind und dass folglich regionale Erklärungsversuche alleine meist zu kurz greifen, zeigt sich besonders deutlich an den beiden verheerenden Überschwemmungskatastrophen der Jahre 1762 und 1817.

Die Hochwasserkatastrophe von 1762 gilt allgemein als die schlimmste der letzten 500 Jahre. Es handelte sich dabei allerdings nicht um eine lokale, auf den Rhein beschränkte Katastrophe. Praktisch in allen Tälern am Alpennordhang traten damals die Flüsse nach überdurchschnittlich langen und ergiebigen Regenfällen über die Ufer. Am 9. Juli durchbrach der Rhein bei Oberriet und Lustenau die Dämme. Ein Augenzeuge, Pfarrer Gabriel Walser von Berneck, schilderte die damalige Katastrophe eindrucksvoll: "Im Rheinthal brach der Rhein mit vollen Strömen an zwey Orten, im Oberriedt und in der Pfarrey Berneck ob der Aue auf einmal aus, und zware nicht allgemach wie anderemal, sondern mit grossen Tosen und Wüten, dass die Leute nicht einmal Zeit hatten, sich zu retten, sondern in die obersten Zimmer, ja gar auf die Dächer sich flüchten mussten. [...] Nun sahe das Rheinthal, welches zuvor mit seinen schönen Fruchtfeldern prangete aus wie ein grosser See so dass man vom Sennwald an, bis auf Lindau und Breganz 12 Stund weit in einem Schiff fahren konnte. [...] Am dritten Tag fiel das Wasser, hinterliess aber einen 2, 3, 4 bis 6 Schuh hohen dicken Schlamm oder Läten. Dass niemand die ordinairen Strassen weder gehen, noch fahren oder reiten konnte. Auf dem Läten lagen viele 1000 und 1000 todte Würmer. Jngeri, Mäuse, Ratten, Erdkrebs etc. welches einen hässlichen Gestank verursachte." Auf beiden Seiten des Flusses waren große Schäden zu verzeichnen. Beispielsweise waren weite Teile Lustenaus von Wasser bedeckt, sodass Pfarrer Rosenlächer später in der Lustenauer Pfarrchronik vermerken konnte, von den Ortsteilen Hag und Stalden habe man mit dem Schiff in die Kirche fahren können. Auch hier wurden die Felder von einer ein bis zwei Schuh tiefen Schicht Schlamm bedeckt, der sich später als sehr fruchtbar herausstellen sollte. In Vorarlberg führten 1762 außer dem Rhein auch andere Flüsse und Bäche Hochwasser. Zwischen dem 9. und 11. Juli traten die Ill bei Schruns, die Meng in Nenzing und der Emmenbach in Götzis über die Ufer. Im Montafon und im Walgau sollen damals durch das Hochwasser 183 Gebäude zerstört worden sein, davon allein 52 in Bludenz. Als Folge dieses Unglücks wurde in Schruns der Beschluss gefasst, das Flussbett der Ill auf die andere Talseite zu verlegen.

Eine weitere verheerende Hochwasserkatastrophe traf Vorarlberg im Sommer 1817. Die damaligen Überschwemmungen waren die indirekte Folge einer Klimaschwankung zwischen 1810 und 1822. Jene zwölf Jahre waren durch regelrechte "Eiszeitsommer" gekennzeichnet. Nur in zwei Jahren (1818, 1819) erreichten die Temperaturen in den Sommermonaten die Durchschnittswerte des 20. Jahrhunderts. Mehrfach waren dazu noch frostige und feuchte Herbstmonate sowie schneereiche Winter zu verzeichnen. Der Höhepunkt wurde 1816 und 1817 erreicht, als sich der Schnee oberhalb von 1.800 bis 2.300 Metern das ganze Jahr hielt. Als im Frühsommer 1817 das Tauwetter in den Bergen einsetzte, waren es schließlich die Schneemassen zweier Jahre, die abschmolzen. Im Rheintal kam es am 15. Juni, 2. Juli und 28. August zu Überschwemmungen. Besonders am 28. August waren zahlreiche Dammbrüche zu verzeichnen, allein im St. Galler Rheintal waren es vierzehn! Auf Vorarlberger Seite durchbrach der Rhein bei Ruggel, Bangs, Meiningen, zwischen Koblach und Mäder, bei Brugg und in Gaißau die Dämme. Auf der Strecke zwischen Ragaz und dem Bodensee waren auf beiden Talseiten große Schäden zu verzeichnen. In Götzis wurden beispielsweise so große Teile der landwirtschaftlichen Anbaufläche verwüstet, dass danach 999 Gemeindebürger auf öffentliche Unterstützung angewiesen waren. Der Bodensee erreichte damals wie die meisten anderen Voralpenseen seinen Höchststand seit 1566. Hard wurde durch ein Seehochwasser überschwemmt, sodass die Pfarrkirche für Wochen unbenutzbar blieb. Auch Fußach und Gaißau standen lange Zeit großteils unter Wasser. In Bregenz wurde der Kornmarkt überschwemmt. Die Auswirkungen der Überschwemmungskatastrophe von 1817 waren verheerend. Vielerorts waren Todesfälle durch Fleckfieber und Mangelkrankheiten zu beklagen. Die Situation war deswegen so prekär, weil infolge der kalten und feuchten Witterung bereits die Ernten der vorangegangenen Jahre schlecht gewesen waren. Seit Herbst 1816 waren die Getreidepreise unaufhörlich gestiegen. Als nun auch noch große Teile der für 1817 zu erwartenden Ernte vernichtet wurden, verschärfte sich die Situation noch weiter.

Eine weitere schwere Überschwemmung suchte das untere Rheintal 1821 heim, als sich der Fluss beim so genannten Eselschwanz, in der großen Krümmung zwischen Höchst und Gaißau, einen direkten Weg in den Bodensee bahnte.

Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts ereigneten sich fast jährlich Überschwemmungskatastrophen im Rheintal, deren Folge ein Anstieg des Grundwasserspiegels und eine teilweise Versumpfung früher fruchtbarer Böden war. Auf Vorarlberger Seite waren im Juni 1849 bei Meiningen, Mäder, Altach und Koblach Dammbrüche zu beklagen. Bei Meiningen sollen die Felder sechs Wochen lang unter Wasser gestanden haben. Als am 28. September durch schwerste Einbrüche auf der Schweizer Seite des Tales großer Schaden angerichtet wurde, war auch Lustenau aufs ußerste bedroht. Nur durch größte Anstrengungen konnte ein Einbruch abgewendet werden. Damals brach bei Meiningen der Illdamm infolge des massiven Rückstaus vom Rhein her. Wenngleich in jenen Jahrzehnten die Vorarlberger Talseite weit weniger oft betroffen war als die Schweizer, kam es auch hier immer wieder zu Dammbrüchen und Überschwemmungen: 1850 in Koblach, 1851 und 1852 in Mäder, Altach und Koblach, 1855 in Meiningen, Mäder, Altach und Koblach und 1872 (6.10.) in Meiningen.

Die beiden letzten großen Rheinüberschwemmungen des 19. Jahrhunderts trafen Vorarlberg dann wieder härter: Am Vormittag des 11. September 1888 durchbrach der Rhein bei Meiningen an zwei Stellen den Damm. Große Teile des Rheintals wurden überschwemmt. Am Abend dieses Tages durchbrachen die Wassermassen dann den so genannten Seelachendamm am südlichen Ortsende von Lustenau, der einige Stunden lang einen gewissen Schutz geboten hatte. Ein Großteil der Gemeinde wurde nun überflutet, wobei u.a. zahlreiche Stickmaschinen beschädigt wurden. Ein zweiter Einbruch erfolgte am 5. Oktober, als der inzwischen behelfsmäßig errichtete Damm barst. Unter dem Eindruck der angerichteten Verwüstungen kam es zu zahlreichen Hilfsaktionen: Die österreichischen Bahnen führten frachtfrei Kohle und Lebensmittel aus den verschiedenen Teilen der Monarchie nach Vorarlberg. Ein vom Verein der Vorarlberger in Wien unter der Führung des Lustenauers Casimir Hämmerle gegründetes Hilfskomitee konnte Spendengelder in der Höhe von insgesamt 6.500 Gulden sammeln, wobei mehr als die Hälfte davon von Vereinsmitgliedern aufgebracht wurde. Unter dem Eindruck der Aktivitäten dieses Komitees beschloss der Wiener Gemeinderat, die von der Überschwemmung Geschädigten mit 1.000 Gulden zu unterstützen.

Am 30. August 1890 kam es zwischen Altach und Hohenems sowie in Höchst zu Dammbrüchen. Die Gegend bei Altach-Bauren und Lustenau soll damals in einen See verwandelt worden sein. In Lustenau wurde ein deutlich höherer Wasserstand gemessen als zwei Jahre zuvor. Am 13. September fand ein zweiter Einbruch statt.

Unter dem Eindruck der verheerenden Katastrophen wurde ab dem Ende des 18. Jahrhunderts immer vehementer nach einer Flussregulierung verlangt, die in den 1890er Jahren dann auch in Angriff genommen wurde. Dieser Flussregulierung, aber auch einer Klimaerwärmung seit 1900, welche die so genannte "Kleine Eiszeit" beendete, ist es zu verdanken, dass das Vorarlberger Rheintal seither von wirklich gefährlichen Überschwemmungskatastrophen verschont blieb. Beim bisher größten Rheinhochwasser des 20. Jahrhunderts kam es 1987 bei Fußach zwar zu einem Dammbruch, dabei wurden allerdings nur geringe Schäden angerichtet. W.Sch.

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Bild: Wie alle anderen Rheinanliegergemeinden hatte auch Lustenau immer wieder unter den Rheinüberschwemmungen zu leiden. Überschwemmung im Jahre 1888, aufgenommen vor dem Gasthaus Engel
Wie alle anderen Rheinanliegergemeinden hatte auch Lustenau immer wieder unter den Rheinüberschwemmungen zu leiden. Überschwemmung im Jahre 1888, aufgenommen vor dem Gasthaus Engel
Bild: Rheinüberschwemmung in Hohenems-Bauern 1888
Rheinüberschwemmung in Hohenems-Bauern 1888