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Rudolf Wacker 1893-1939

Rudolf Wacker zählt zu den wichtigsten europäischen Künstlern der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen und gilt als Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit in Österreich. 1893 als viertes Kind eines aus Tirol stammenden Baumeisters und einer Bregenzerwälderin geboren, studierte er bei Albin Egger-Lienz an der Akademie in Weimar, rückte in das Tiroler Kaiserjäger-Regiment ein, kam 1915 nach Galizien, Polen und Russland und verbrachte die Jahre zwischen 1916 und 1920 in sibirischer Kriegsgefangenschaft. Hier begann er mit den für sein künstlerisches Frühwerk so wichtigen Zeichnungen, die bis 1924 werkbestimmend und dem Expressionismus verpflichtet waren. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die Freundschaft mit Erich Heckel sowie durch mehrere Aufenthalte in Berlin und Weimar. Auch seine Tagebuchaufzeichnungen, die bis zu seinem Tod 1939 in Bregenz zu einem wichtigen kulturhistorischen Dokument anwuchsen – bekannt sind acht Bücher und acht Hefte –, erreichten in seiner Kriegsgefangenschaft eine erste Intensivierung. Die einschneidenden historischen Ereignisse wurden von Wacker nicht nur registriert, sondern in ihren Auswirkungen auf seine unmittelbaren Lebenszusammenhänge begriffen und mit seinem künstlerischen Schaffen in Verbindung gebracht. Daraus entstand ein dichtes literarisches Geflecht bewusst erlebter Alltagsgeschichte eines mit den kommunistischen Ideen vertrauten, häufig in materiellen Sorgen lebenden Künstlers. Seine Hinweise auf gelesene Bücher und besuchte Ausstellungen sowie seine kunsttheoretischen ußerungen lassen diese Aufzeichnungen auch für sein bildnerisches Werk von entscheidender Bedeutung werden.

Wacker zeichnete Frauenakte, Köpfe nach Negerplastiken, beschäftigte sich mit seiner eigenen Person, oft unerbittlich, gab stilistische Stenogramme seines Innenlebens. Das Thema der 'Puppe' gewann immer mehr an Bedeutung und wurde ab 1924 auch in den Ölbildern unverzichtbarer Bestandteil seiner Dingwelt.

Die Puppe gilt in vielen Atelierbildern als Requisit, bei Wacker geht ihre Bedeutung darüber hinaus, scheint in manchen Phasen seines Schaffens End- und Ruhepunkt seiner Bemühungen zu sein. Sie wird zu einer Bildmetapher für Beziehungslosigkeit, steht zwischen Sinnlichkeit und Gewalt, sie war seit seiner Kindheit mit Sexualität besetzt. Er erkannte ihren magischen Aspekt als Ding- und Zwitterwesen, ließ sie ihre Erotik, Entfremdung und Vereinsamung leben. Die Puppe erlaubte dem Künstler Rollenspiele, er setzte sie in Bezug zu seiner eigenen Person und zur Bildfigur des Kasperl. In seinen Hauptwerken der späten 1920er und frühen 1930er Jahre erhielt sie einen bildbestimmenden Charakter. So wurde die wiederholte Darstellung der Puppe seiner Frau Ilse zu einer dreiteiligen Bildergeschichte einer fortschreitenden Erotisierung und einer damit einhergehenden Vereinsamung (1927–1932). Stets alleiniger Bildinhalt, wurde sie zu einem Psychogramm seiner Weltanschauung. 1927 im Bild "Puppe und Interieur" noch mit hochgeschlossener Bluse züchtig bekleidet, undeformiert und leicht nach rechts blickend, wird sie 1929 entkleidet, zeigt sich im Mieder, sitzt mit leicht gespreizten Beinen, zwingt den Betrachter, den weit offenen Schlitz im Schritt zu betrachten. 1932 entstand die "Blinde Puppe", auf einer Holzkiste sitzend, dem Betrachter frontal gegenüber, sie scheint uns zu fixieren, die Pupillen fehlen. Zwei schwarze Augenhöhlen führen ins Nichts, der Mechanismus des Körpers wird betont. Schuhe, Mieder und Einschnürungen der Bekleidung zeigen die malerische Präzision, die unerbittliche Realität, hier bis ins Irrationale gesteigert. Und wieder wird der voyeuristische Blick durch die Einsicht in die Schamgegend gereizt.

Neben den Puppen sind Wackers Still-Leben, die quantitativ den Hauptteil seines Werkes ausmachen, durch Streichholzschachteln, Spielkarten, Bücher, Kinderzeichnungen, Käfer, Blumen, Kakteen, den lädierten Haubenstock und durch das werkimmanente Bild-im-Bild-Thema geprägt. Wacker nimmt den Objekten ihren Ort, ihre Zeit, Licht und Schatten hüllen seine Dingwelt nicht mehr ein, sie enthüllen sie vielmehr, lassen sein Hauptwerk zu einer zentralen Position innerhalb der Neuen Sachlichkeit werden. "Schließlich ist es Weltanschauung: das Begreifen, wie jedwedes Ding ewig sich selbst ist, für sich bleibt, fremd und allein. Und doch das geringste unter ihnen ein Wunder" (R. Wacker). Dass daneben weiterhin expressiv malerisch orientierte Zeichnungen entstanden, ja kurz vor seinem Tod Blätter wie "Lesbische Puppe" und "Puppe mit erhobenem rechten Arm" – Letztere, die auf die politische Komponente in seinem Schaffen verweist, zeichnete er nach einem Deutschlandaufenthalt 1937 –, muss vermerkt werden.

Neben den Still-Leben, Landschaftsbildern und Porträts spielt das Selbstbildnis eine entscheidende Rolle. Es zeigt Wacker in den verschiedenen Stadien seines Lebens, in der existenziellen Erfahrung einer starken Vereinsamung und Isolierung ebenso wie als selbstbewussten Künstler. Beinahe alle ikonografischen Möglichkeiten, die in der Zwischenkriegszeit zur Verfügung standen – vom Hinweis auf Christus, im Atelier, an der Staffelei, bis hin zum leidenden, verarmten Künstler in einer dunklen Dachkammer –, finden Verwendung. Häufig zeigt sich Wacker im Beisein der Puppe; diese ist dominant wie 1932 bei "Selbstbildnis mit Puppe" oder nur am Rande vertreten wie 1924 im "Selbstbildnis mit Rasierschaum". Hier sitzt Wacker vor einem Tisch mit ausgeblasener Kerze, Vase mit Blumenstrauß und Rasierutensilien, die Arme an seinen Körper gepresst, erinnert mit dem Rasierschaum, den rot hervortretenden Lippen und seiner Kopfbedeckung an einen Clown, scheint seine Rolle als Künstler zu hinterfragen. Im Hintergrund finden wir ein Bild eines Kasperl mit Puppe als Liebespaar.

Rudolf Wacker starb nach mehreren Verhören und Hausdurchsuchungen durch die Gestapo am 19. April 1939 in Bregenz. "Jemand hat mir gesagt, ich stelle die Trümmer der bürgerlichen Welt dar – das scheint den Gegenstand meiner Bilder wirklich zu bezeichnen" (R. Wacker). H.S.

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Bild: Selbstporträt Rudolf Wackers beim Malen
Selbstporträt Rudolf Wackers beim Malen
Bild: "Blinde Puppe" von Rudolf Wacker, 1932
"Blinde Puppe" von Rudolf Wacker, 1932