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Edmund Kalb 1900-1952

Edmund Kalb zählt zu den großen Außenseitern der österreichischen Kunst der Zwischenkriegszeit. Nach einigen Studienreisen und seiner Akademiezeit in München lebte er zurückgezogen in Dornbirn, stets auf Kriegsfuß mit der Obrigkeit – Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte 1943 (Verurteilung wegen Gehorsamsverweigerung) und 1947 (Beamtenbeleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt). Hier entstand das in sich geschlossene Ouvre eines hochsensiblen, isolierten Menschen, der seine eigene Person zum beinahe ausschließlichen Bildinhalt werden ließ. Seine über 600 Selbstdarstellungen beinhalten mathematische Denkmodelle ebenso wie die Beschäftigung mit kosmischen Ordnungen und esoterischen Ideen der Jahre zwischen den Weltkriegen.

Kalb wurde im Jahre 1900 in Dornbirn geboren. Sein Vater war Dekorationsmaler, seine Mutter, die er des Öfteren porträtierte, stammte aus Ebnit bei Dornbirn. Die rückseitige Beschriftung einer Zeichnung seiner Mutter lautet: 'Proletariat und Persönlichkeit als Ausblick, Tragik und Dämonie und Möglichkeitswert zur Persönlichkeit schöpferischer Konzentrationskräfte/Dämonisch realistische Auseinandersetzung ins Gigantische magisch physikalischer Raumgestaltungsmöglichkeiten am Bildnis meiner Mutter'.

Kalbs Darstellungen seiner eigenen Person haben häufig einen seriellen Charakter, seine Zeichnungen thematisieren das Denken selbst. Er folgte der Lehre der Theosophie und deren Weltbild von jener Energie, die in Form von Vibrationen alles durchdringt. Kalb besaß zahlreiche Bücher theosophischen und spiritistischen Inhalts. Viele Bildfolgen zeigen die Sonderstellung seiner Blätter, versuchte er doch nicht nur eine Beschreibung der psychischen und physischen Welt zu geben, sondern darüber hinaus die kosmischen Ordnungen zu ergründen und seine Person mit diesen höheren Realitäten zu konfrontieren. Kosmische Elemente, Fragen der Metaphysik und der Erscheinungsformen von Gedanken und Gefühlen, die schrittweise Auflösung des eigenen Bildnisses sowie die Schaffung einer geistigen Atmosphäre, in der sich meist geometrische Gebilde bewegen, bestimmen die Arbeiten der Jahre um 1930.
Bereits 1918 finden wir eine Darstellung der linken Gesichtshälfte des Künstlers, bezeichnet mit "E. K. ein Stück Selbsterkenntnis: innere Vergeistigung 1918/Fragment aus dem Spiegel". Kalb beschäftigte sich auch mit der Dreiteilung, die wir in esoterischen Schriften der Jahrhundertwende wiederholt abgehandelt finden.

Im Selbstbildnis vom 10. Februar 1930 dringt die geistige Welt in den Bereich des Materiellen ein, verlässt den Hintergrund und wird bildbestimmend. Kalb zeigt die Dualität von Mann und Frau, von negativ und positiv, von hell und dunkel sowie die Vereinigung beider in der universellen Harmonie des Kreises, der die linke Kopfseite des Künstlers beherrscht. Darüber sehen wir die Lemniskate als Spirale der Unendlichkeit, der Urform, die in der Lage ist, die irdischen Widersprüche aufzuheben. Der dominierende Mond tangiert die Aura des Künstlers. Der Mond, dem rechten Ohr zugeordnet, zeigt die Akustik als möglichen Zugang zur unsichtbaren Welt – eine Idee, die auch in der im München dieser Zeit weit verbreiteten Theosophie vertreten wurde.

Vibrationen, in vielen theosophischen und okkulten Texten als die gestaltenden Kräfte der Materieformen angesehen, zerstören in seiner Selbstdarstellung vom 19. März 1930 Kalbs Gesicht, die Verbindung zwischen den Polen im Bild ist unterbrochen, Energieströme werden aufgehoben, der Raum für neue Möglichkeiten scheint, seinem materiellen Leben entsprechend, eingeengt zu sein.

Ab den 1940er Jahren arbeitete Edmund Kalb an einer Verwissenschaftlichung seiner Absicht, den Gedanken bildlich zu vergegenständlichen. Die Bedingungen von Kunst und Leben wissenschaftlich zu ergründen wurde zur wichtigsten Aufgabe seiner letzten Lebensjahre, die immer mehr von einer inneren Emigration bestimmt wurden. Kalb bediente sich in seiner Korrespondenz des Esperanto, befasste sich intensiv mit Autosuggestion, Astronomie, dem Lauf der Planetenbahnen und mathematischen Denkmodellen, die auch Eingang in seine Selbstdarstellungen fanden. Er beschränkte sich auf wenige Speisen, war einer speziellen Diätetik verpflichtet und versuchte sich in Pflanzenzucht und Reisanbau.

Die Idee war für Kalb zeitweise wichtiger als die bildnerische Umsetzung, Denken diente der Überwindung materieller Armut. Auf der Rückseite eines Selbstbildnisses aus dem Jahre 1937 findet sich die Erkenntnis: "Das Bild drückt charakteristisch momentanes und intensives Denken und Anstrengung zu Scharfsinn aus dabei kommt ihm das Warme des Überrockes und Eckige der Kaumuskeln ausdrucksvoll zur Überwindung von rmlichkeit und Kälte durch Denken zu statten."

Edmund Kalb starb 1952 in Dornbirn; große Teile seines schriftlichen und bildnerischen Werkes, von einer bemerkenswerten Konsequenz und Intensität getragen, gingen verloren. H.S.

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Bild: Edmund Kalb im Jahre 1928
Edmund Kalb im Jahre 1928
Bild: Selbstbildnis, 1930
Selbstbildnis, 1930
Bild: Sebstbildnis ohne Gesicht, 1928
Sebstbildnis ohne Gesicht, 1928