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Das Jahr 1934

1934 war der Kulminationspunkt für eine Entwicklung der österreichischen Innenpolitik, die bereits nach dem AScheitern der letzten großkoalitionären Regierung Karl Renners und Jodok Finks im Juli 1920 begonnen hatte. Die drei großen politischen Lager der Ersten Republik, das christlichsoziale, das deutschnationale und das sozialistische, zeigten zwischen 1920 und 1933 wenig Willen, das demokratische Haus Österreich gemeinsam zu bauen. Im Gegenteil: Sie agitierten auf Grundlage von chauvinistischen Allmachtsfantasien und patriarchalen Gewaltszenarien. 1927 ließ der Wiener Polizeipräsident Johannes Schober auf jene Menschen schießen, die vor dem Justizpalast gegen den Freispruch für die Mörder im Schattendorf-Prozess demonstrierten. Über hundert Tote waren das traurige Ergebnis. Im März 1933 verhinderte die Regierung Dollfuß ein legitimes Zusammentreten des Nationalrates und erklärte, das Parlament hätte sich selbst ausgeschaltet. Unter Rückgriff auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahre 1917 regierte sie fortan per Notverordnungen. Noch im selben Monat löste sie den sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbund auf. Im Mai 1933 verbot sie die Durchführung von Gemeinderats- und Landtagswahlen sowie die Kommunistische Partei Österreichs. Sie kündigte die Auflösung aller Parteien und politischen Organisationen sowie die Zusammenfassung aller so genannten österreichtreuen gesellschaftlichen Kräfte in der Vaterländischen Front an. Auf Grund der fortgesetzten antiösterreichischen NS-Propaganda, die immer gewalttätigere Ausmaße annahm, verbot sie am 19. Juni 1933 die NSDAP. Im September 1933 errichtete sie Anhaltelager zur Internierung von politisch missliebigen Personen. Im November 1933 wurde die 1919 von der demokratischen Republik abgeschaffte Todesstrafe wieder eingeführt.

Im Dezember 1933 wurden die sozialdemokratischen Funktionäre in den Arbeiterkammern per Verfügung der Dollfuß-Regierung durch christlichsoziale Mandatare ersetzt. Nationalsozialisten, Kommunisten und ein Teil der Sozialdemokraten reagierten auf diese Verschärfung des politischen Kurses in gleicher Weise: Sie gingen in den Untergrund, um dort den politischen Kampf gegen die autoritäre Regierung Dollfuß fortzusetzen. In den Mitteln, die sie in diesem Kampf einsetzten, unterschieden sie sich aber deutlich. Während der marxistische Untergrund seinen Widerstand im Wesentlichen auf gewaltfreie Aktivitäten wie Bummelstreiks oder das Streuen von Flugblättern beschränkte und nur vereinzelt Sabotageakte an materiellen Staatsgütern ausübte, setzte die NSDAP auf die terroristische Karte. Noch zu Zeiten ihrer Legalität im Frühjahr 1933 hatte sie den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland mit Gewaltakten zu erzwingen versucht. Am 11. Juni 1933 etwa führte sie einen Mordanschlag auf den Tiroler Heimwehrführer Richard Steidle durch und am 19. Juni desselben Jahres einen Handgranatenanschlag auf christliche Turner in Krems, bei dem ein Turner getötet wurde. Dieser Terror wurde nach dem NSDAP-Verbot intensiviert. Allein in der ersten Januarwoche 1934 wurden in ganz Österreich 140 NS-Sprengstoffanschläge gezählt. In Dornbirn sollen im Januar 1934 täglich bis zu 25 Papierböller explodiert sein. In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1933 wurde der Lochauer Heimwehrmann Edwin King während eines Patrouillenganges am Bodensee von einem illegalen Nationalsozialisten erschossen. Der Vorarlberger NS-Täter flüchtete mit einem Boot über den Bodensee nach Lindau.

Trotz solcher verbrecherischer Aktivitäten sah die Dollfuß-Regierung nicht in der NSDAP, sondern in der Sozialdemokratie den primären Feind ihrer Bestrebungen zum totalitären Umbau Österreichs. Ende Januar 1934 begann sie die Sozialdemokraten mit vermehrten Waffensuchen in sozialdemokratischen Parteiheimen und Wohnungen gezielt zu provozieren. Im Februar 1934 teilte der oberösterreichische Republikanische Schutzbund der sozialdemokratischen Parteileitung in Wien mit, dass er sich im Fall von Hausdurchsuchungen wehren würde. Am 12. Februar 1934 machte er diese Ankündigung wahr und widersetzte sich mit Waffengewalt einer polizeilichen Visite des Linzer sozialdemokratischen Parteiheimes. In Steyr, im Hausruck, in Bruck, Kapfenberg, Judenburg, Weiz, Graz, St. Pölten, Neunkirchen, Höring, Wörgl und Wien kam es ebenfalls zu bewaffneten Erhebungen sozialdemokratischer und kommunistischer Arbeiter. Bis zum 15. Februar 1934 wurden sie durch Bundesheer, Heimwehr und Polizei niedergekämpft. Die Bilanz am Ende der Auseinandersetzungen war erschreckend: zwischen 300 und 1.200 Tote sowie 800 bis 5.000 Verletzte.

In vielen europäischen Staaten und in den USA kam es zu Solidaritätskundgebungen für die kämpfenden österreichischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Trotzdem verbot die Dollfuß-Regierung am 12. Februar 1934 die Sozialdemokratische Partei und ihr nahe stehende Organisationen. In Vorarlberg traf das eine Partei von wenigen Tausend Mitgliedern und wenige Dutzend sozialdemokratische Vereine. Die Vermögenswerte der Sozialdemokratischen Partei und der Vereine wurden durch den Staat beschlagnahmt. Immobilien wurden nach Möglichkeit verkauft, Sachwerte wie z.B. die Turngeräte der Arbeiter-Turn- und Sportvereine an die katholischen Turnerbünde des Landes überstellt. Die Mandate der Sozialdemokratie in den Landtagen und im Nationalrat wurden annulliert, die Betriebsräte ihrer Funktion enthoben, die Gewerkschaft wurde aufgelöst und an ihrer Stelle eine staatliche Einheitsgewerkschaft errichtet. 21 Arbeiter wurden durch Standgerichte zum Tod verurteilt. Neun dieser Todesurteile wurden vollstreckt, u.a. an dem schwer verletzten Wiener Schutzbundführer Karl Münichreiter. Der dafür verantwortliche Justizminister Kurt Schuschnigg wurde im Sommer 1934 Nachfolger des durch NS-Putschisten ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß. Die NSDAP hatte während der Februarkämpfe ihre terroristische Propaganda gegen Österreich kurz eingestellt, sie danach aber mit immer härteren Mitteln wieder aufgenommen. Am 9. Juni 1934 sprengten illegale Vorarlberger Nationalsozialisten eine Druckrohrleitung des Spullerseewerkes und verursachten damit einen Schaden von ca. 200.000 S. Am folgenden Tag wurden in Dornbirn und Hohenweiler zwei Starkstrommasten der Illwerke gesprengt. Ende Juni ging in Lustenau bei der Turnhalle des katholischen Turnerbundes ein Sprengsatz hoch, der an der Halle und den umliegenden Häusern einen Schaden von ca. 5.000 S verursachte. Am 25. Juli 1934 versuchte die illegale SS-Standarte 89 in Wien einen Staatsstreich. Sie besetzte die Senderäume des österreichischen Rundfunks (RAVAG) und das Bundeskanzleramt. Bundeskanzler Dollfuß wurde bei seinem Fluchtversuch von zwei Putschisten durch Pistolenschüsse schwer verletzt und erlag am Nachmittag des 25. Juli 1934 seinen Verletzungen. Der Putsch brach zusammen, die 154 Aufständischen, von denen rund zwei Drittel ehemalige Bundesheerangehörige waren, wurden verhaftet und vor ein Militärgericht gebracht. Acht von ihnen wurden hingerichtet. In Kärnten wurde auf Seiten der NS-Putschisten der Bregenzer Dr. Arthur Seeber tödlich verwundet. In Vorarlberg selbst blieb es im Juli 1934 ruhig. Kurt Schuschnigg übernahm die Regierungsgeschäfte und setzte bis Jahresende 1934 den von Dollfuß begonnenen totalitären Umbau Österreichs fort. Bereits am 1. Mai 1934 war die vom Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Otto Ender ausgearbeitete ständische Verfassung oktroyiert worden. Darin wurde die Vaterländische Front zum alleinigen Organ der politischen Willensbildung erklärt. Die gesamte Gesellschaft wurde entlang von Berufsgruppen (Ständen) organisiert. In den Parlamenten saßen nun nicht mehr Parteien, sondern Vertreter von Ständen. Im November 1934 wurde die Vorarlberger Landesverfassung der neuen autoritären Bundesverfassung angepasst. Landtag und Gemeinden setzten sich folglich aus Vertretern von Kirche, Schulen, Wissenschaft, Landwirtschaft, Industrie, Handel, Gewerbe usw. zusammen. Staats- und Landesbedienstete waren verpflichtet, der Vaterländischen Front oder einer ihrer Teilorganisationen wie der Sozialen Arbeitsgemeinschaft beizutreten.

Im Spätherbst 1934 wurden die in der Maiverfassung vorgesehenen neuen beratenden Organe der Regierung konstituiert: der Staatsrat, der Bundeskulturrat, der Bundeswirtschaftsrat, der Länderrat sowie der Bundestag. Einige ehemalige christlichsoziale Vorarlberger Politiker nahmen am Aufbau dieses neuen Staates aktiv teil und waren Mitglieder in dessen beratenden Institutionen – so etwa der spätere Landeshauptmann Ulrich Ilg, der von 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeswirtschaftsrates sowie des Bundestages und im Kabinett Dollfuß II kurzfristig Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft war. Auch Vorarlberger Sozialdemokraten erklärten sich zum neuen Staat loyal, so etwa der sozialdemokratische Parteisekretär Anton Linder im Februar 1934. Einige Dutzend Vorarlberger, insbesondere aus dem marxistischen Lager, verweigerten sich jedoch dem Ständestaat und agitierten mittels Flug- und Streuzetteln gegen ihn – so z.B. der spätere Landtagsabgeordnete und Bezirkssekretär der SPÖ, Josef Greussing, der 1937/38 wegen Streuung von Flugzetteln der illegalen Revolutionären Sozialisten mehrere Wochen in Haft war, oder der kurzfristige kommissarische Bürgermeister von Klösterle, Richard Kolar, der auf Grund seiner Funktion als Landesleiter der illegalen KPÖ 1937/38 zu drei Monaten Arrest verurteilt wurde. W.W.

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Bild: Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1934 vor dem Landesgericht Feldkirch
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Bild: Der Republikanische Schutzbund konnte weder in der Zahl noch in der Ausstattung mit den Heimwehren mithalten. Auf dem Bild ist der Republikanische Schutzbund Dornbirn bei einem Ausflug Anfang der 1930er Jahre zu sehen.
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Bild: Heimwehraufmarsch 1935 in Feldkirch
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Bild: Auswirkungen eines Bölleranschlags illegaler Nationalsozialisten auf das Rathaus in Dornbirn
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