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Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Vorarlberg

Das autoritäre Regime des Austrofaschismus – der 'Ständestaat' –, von seinen "Schutzmächten", in erster Linie Italien, zunehmend allein gelassen, hatte auf Grund der schwierigen Wirtschaftslage, der Massenarbeitslosigkeit und des Verbots jeglicher politischen Opposition nach dem Februar 1934 nicht den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, um dem Nationalsozialismus erfolgreich widerstehen zu können. Die seit 1933 in Österreich illegale NSDAP, in Vorarlberg von finanzkräftigen einheimischen Unternehmern unterstützt, hatte sich zur wirkungsvollsten Opposition entwickelt und schrittweise das gesamte rechte laizistische Lager – vor 1933 immerhin ein Viertel der Vorarlberger Wählerschaft – aufgesogen. Allein im Bezirk Feldkirch, mit dem "braunen Nest" Dornbirn als Zentrum, wurden vor 1938 knapp 1.400 Personen wegen illegaler Betätigung für die NSDAP verhaftet oder abgestraft.

Wie in ganz Österreich übernahmen auch in Vorarlberg einheimische Nationalsozialisten schon in der Nacht zum 12. März 1938 die Macht. Der Nationalsozialismus war also nicht nur von außen über das Land hereingebrochen. Der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich erfolgte dann de facto am nächsten Tag durch den von vielen bejubelten Einmarsch der deutschen Wehrmacht, de iure durch das von der Marionettenregierung Seyß-Inquart verabschiedete "Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich". Bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 zur "Legalisierung" des bereits vollzogenen "Anschlusses" gab es in Vorarlberg – trotz einer für Diktaturen typischen fast hundertprozentigen "Zustimmung" – den österreichweit höchsten Anteil an "Nein-Stimmen".

Nicht nur Nationalsozialisten und ehemalige Großdeutsche begrüßten den "Anschluss" als Beginn einer neuen Zeit. Auch die Mehrheit der katholisch-konservativen Bevölkerung verband das Ereignis mit mehr oder weniger großen Hoffnungen, hatte doch die Amtskirche den "Anschluss" offiziell begrüßt und gutgeheißen. Trotz ideologischer Gegnerschaft zum NS-Regime trauerten Sozialisten und Kommunisten aus verständlichen Gründen dem "Ständestaat" nicht nach.

Wie überall erfolgte auch in Vorarlberg die Machtsicherung mit Zuckerbrot und Peitsche: Einerseits köderte das Regime Zweifler mit einer "Propaganda der Tat" – wie Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit,  Einführung neuer Sozialgesetze und Entschuldung der Landwirtschaft –, andererseits terrorisierte man gleichzeitig Regimegegner und versuchte sie durch willkürliche Verhaftungen, politische Säuberungen, Entlassungen und Berufsverbote einzuschüchtern. Bis 1940 wurden das politische Leben und die Verwaltung radikal umstrukturiert, das Land Vorarlberg verlor seine Eigenständigkeit und wurde Teil des Gaus Tirol-Vorarlberg.

Viele waren vom anfänglichen Aufschwung geblendet. Dass die rasche Beseitigung der Arbeitslosigkeit vor allem eine Folge der laufenden Kriegsvorbereitungen war, erkannten die meisten nicht. Die Bevölkerung war einer vorher nie gekannten Propagandaflut ausgesetzt. Die "Volksgemeinschaft" sollte den "Klassenkampf" ersetzen, jedes Segment der Gesellschaft wurde politisiert, organisiert und militarisiert: Pimpfe, Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht waren die Stationen der männlichen Jugend. Auch für die weibliche Jugend gab es entsprechende Organisationen. Zahlreiche junge Vorarlbergerinnen mussten ein so genanntes "Pflichtjahr" absolvieren, meist in der Rüstungsindustrie im "Altreich".

Der Kriegsbeginn 1939 mit dem Angriff auf Polen wurde im Gegensatz zu 1914 mit Sorge und wenig Begeisterung aufgenommen. Durch die raschen militärischen Erfolge und die Aussicht auf ein baldiges Kriegsende erreichte nach dem Sieg über Frankreich im Sommer 1940 die Zustimmung zum NS-Regime auch in Vorarlberg ihren Höhepunkt. Noch war der Krieg ein ferner Krieg und die Auswirkungen der ohne grundlegende Umstrukturierung der Wirtschaft geführten "Blitzkriege" berührten bis 1941 den Alltag im Lande kaum. Wie im Frieden und unter größtem Propagandaeinsatz baute man Siedlungen, um ab 1940 Tausende Südtiroler "Optanten" aufnehmen zu können. Die militärischen Siege und der Optimismus spiegelten sich bis Anfang 1942 nicht zuletzt in der Mitgliederstatistik der NSDAP wider: Vorarlberg erreichte – nach Tirol – mit über 10 Prozent der Bevölkerung den höchsten Anteil an Parteigenossen in der nunmehrigen "Ostmark" bzw. den "Donau- und Alpengauen".

Aber nicht alle unterstützten, und sei es auch nur durch Gehorsam und Pflichterfüllung, das NS-Regime: Von Anfang an regte sich im Lande auch ein breit gefächertes Spektrum oppositionellen Verhaltens bis hin zu echtem politischen Widerstand. Viele wanderten dafür in Gefängnisse und KZs; rund 800 von ihnen sind namentlich bekannt.

Nicht nur für Regimegegner – Sozialisten, Kommunisten, Repräsentanten des "Ständestaates" und der Kirche –, sondern auch für Minderheiten und gesellschaftliche Außenseiter hatte 1938 eine Zeit der Diskriminierung und Verfolgung begonnen. Sie zählten nach der NS-Ideologie nicht zur "Volksgemeinschaft": Vor allem die kleine jüdische Minderheit in Vorarlberg war sofort dem Druck des Regimes ausgesetzt: Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung, Vertreibung und Deportation hießen die Stufen der Verfolgung. Schon im Sommer 1938 kam der erste Vorarlberger Jude im KZ um. Einige konnten fliehen, andere begingen Selbstmord, die meisten wurden nach Wien zwangsumgesiedelt und von dort in den Jahren 1941 bis 1944 ins Getto Theresienstadt oder in die Vernichtungslager weiter im Osten deportiert. 1945 war die über dreihundertjährige Geschichte der einst blühenden Hohenemser Judengemeinde endgültig beendet. Keiner der Überlebenden kehrte nach Vorarlberg zurück.

Neben der jüdischen Bevölkerung wurden schon ab Herbst 1939 körperlich und geistig Behinderte sowie Menschen mit sozial abweichendem Verhalten im Zuge der systematischen Vernichtung "lebensunwerten Lebens", der so genannten Euthanasie, ermordet. Diese Vernichtungsaktionen konnten nur unter Mitwirkung oder sogar auf Initiative einheimischer Handlanger durchgeführt werden. Auch zahllose Verhaftungen und Einlieferungen in KZs erfolgten auf Grund von Denunziationen. Einige Vorarlberger zählten zu den Haupttätern dieser Verbrechen, so der Bregenzer Dr. Irmfried Eberl, der nach einer "Karriere" als Euthanasiearzt zum ersten Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka ernannt wurde.

Ab Beginn des Russlandfeldzuges im Sommer 1941 wurden die Auswirkungen des Krieges auch an der "Heimatfront" immer spürbarer: Zunehmend mussten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingerückte Männer in Industrie und Landwirtschaft ersetzen und auch bei Großprojekten wie dem Kraftwerksbau der Illwerke kamen meist nur noch Fremd- und Zwangsarbeiter unter oft unmenschlichen Bedingungen zum Einsatz.

Nach dem Scheitern des Unternehmens "Barbarossa" im Dezember 1941 wurde die Wechselbeziehung zwischen Kriegsverlauf und Situation und Stimmung an der "Heimatfront" immer deutlicher: Auf die Senkung der Lebensmittelrationen Anfang 1942 im Zuge der Umstellung von der "Blitzkriegswirtschaft" auf eine längere Kriegsdauer reagierte die Bevölkerung mit Unzufriedenheit und einem Stimmungstief. Hatte der Verlauf der Sommeroffensive 1942 mit dem Vorstoß Richtung Stalingrad und dem Kaukasus vorerst Optimismus aufkommen lassen, schlug diese Stimmung ab Herbst angesichts dramatisch ansteigender Verluste bis Jahresende erstmals in Kriegsmüdigkeit um.

Die militärische Katastrophe im Kessel von Stalingrad, die Proklamation des "totalen Krieges", die gleichzeitige Forderung der Alliierten nach "bedingungsloser Kapitulation" und die Sorge um Angehörige an der Front – besonders um die ebenfalls von einer Einkesselung bedrohten Gebirgsjäger im Kaukasus – drückten Anfang 1943 nachhaltig auf die Stimmung. Gerade in Vorarlberg tat sich die NS-Propaganda angesichts des von weiten Kreisen trotz Verbots regelmäßig abgehörten Schweizer Rundfunks besonders schwer, als glaubwürdige Informationsquelle zu bestehen.

Die Folgen der Proklamation des "totalen Krieges" radikalisierten im Frühling 1943 auch das Leben an der "Heimatfront": Hasspropaganda prägte Zeitungen und Rundfunk; bislang durch eine Ehe mit einem "Arier" vor der Deportation geschützte jüdische Ehepartner wurden verhaftet, was zu Unruhe in der Bevölkerung führte. Auch die Einberufung von Schülern als Flakhelfer und der Fraueneinsatz in der Kriegsindustrie stießen mehrheitlich auf Ablehnung. Aufkommende Unzufriedenheit und Angst kamen nicht zuletzt in einem vom Regime als bedrohlich empfundenen verstärkten Kirchenbesuch zum Ausdruck.

Auch die indirekten Auswirkungen des Krieges beeinflussten das Leben im Lande: Angesichts der verheerenden Luftangriffe auf Nord- und Westdeutschland begann eine verstärkte Verlagerung von kriegswichtigen Betrieben aus bombengefährdeten Gebieten nach Vorarlberg, obwohl bereits erste schwere Angriffe auf Friedrichshafen erfolgt waren. Die gleichzeitige Einquartierung einer wachsenden Zahl von Bombenflüchtlingen, meist aus dem Ruhrgebiet, stieß auf keine große Solidarität. Es entstanden soziale Spannungen und Reibungen mit den Einheimischen, die den alten Antagonismus zwischen "Ostmark" und "Altreich" wieder aufbrechen ließen.

Die Kämpfe an der Ostfront und die Kapitulation in Afrika im Frühjahr und Sommer 1943 verstärkten die ngste der Bevölkerung. Die alliierte Landung auf Sizilien und der Kriegsaustritt Italiens im September hatten in Vorarlberg sogar noch größere psychologische Auswirkungen als Stalingrad. Am 1. Oktober 1943 kam der Krieg erstmals ins Land: Beim Angriff der US-Luftwaffe auf das Gelegenheitsziel Feldkirch – nachdem zuvor die Bomber das geplante Angriffsziel, die Messerschmitt-Werke in Augsburg, nicht gefunden hatten – waren rund 200 Opfer zu beklagen.

Trotz der Luftangriffe auf Süddeutschland und auf Innsbruck galt das Gaugebiet – und somit auch Vorarlberg – weiterhin als "Luftschutzkeller des Reiches". Gegen den Willen der Gauleitung und vor allem der Vorarlberger Industrie gingen auch 1944 die Betriebsverlagerungen weiter. Trotz aller Abschottungsversuche wuchs auch die Zahl der Bombenflüchtlinge und später der Evakuierten aus Frontgebieten bis Kriegsende weiter an. Nach der Invasion in der Normandie und dem Zusammenbruch des Mittelabschnittes der Ostfront im Sommer 1944 zeichnete sich die militärische Niederlage des Deutschen Reiches für jedermann erkennbar ab. Auch bei den fanatischsten Nationalsozialisten sank der Glaube an den "Endsieg". Die Aufstellung des "Volkssturms" als letztes Aufgebot hob die Zuversicht keineswegs.

Ab Jahresende 1944 sollte das Land zum letzten Rückzugsgebiet für die Wehrmacht, zur nordwestlichen "Bastion" einer geplanten "Alpenfestung" ausgebaut werden. Allerdings liefen die Vorbereitungen auf den "Endkampf in der Alpenfestung" nur halbherzig und die Bereitschaft der Vorarlberger, im eigenen Lande noch zu kämpfen, war gering. Statt für Elitetruppen wurde Vorarlberg im Frühjahr 1945 zum Rückzugsgebiet für Tausende Flüchtlinge aus allen Himmelsrichtungen. Obwohl die "Alpenfestung" ein Hirngespinst, ein Phantom blieb, bestand bis Kriegsende noch die Gefahr großer Kriegszerstörungen.

Wie viel menschliches Leid der Nationalsozialismus und der von ihm entfesselte Weltkrieg über das Land gebracht haben, kann nur erahnt werden. Insgesamt sind in Vorarlberg die Namen von über 800 Opfern von Verfolgung und Widerstand bekannt. Mindestens 80 Personen wurden aus politischen oder rassistischen Gründen hingerichtet oder in KZs ermordet, mindestens 300 fielen der "Euthanasie" zum Opfer. Unter den rund 1,2 Millionen Österreichern, die als Soldaten der Wehrmacht oder Waffen-SS an allen Kriegsschauplätzen im Einsatz waren, befanden sich Tausende Vorarlberger. Rund 7.800 von ihnen kehrten überhaupt nicht mehr zurück, andere mussten eine oft lange Kriegsgefangenschaft erdulden. Etwa 200 Zivilisten kamen beim Bombenangriff auf Feldkirch und bei diversen Tieffliegerangriffen in den letzten Kriegstagen ums Leben. Die materiellen Schäden dagegen hielten sich in Grenzen: Da der "Endkampf in der Alpenfestung" nicht stattfand, blieb das Land – ausgenommen Feldkirch und Bregenz – von Kriegszerstörungen weitgehend verschont. Th.A.

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Bild: Anlässlich der Abstimmung über den Anschluss Österreichs an Deutschland, der sogenannten `Abstimmung der Ehre´, wurde mit Einsatz aller Mittel für Hitlerdeutschland geworben; hier am Dornbirner Marktplatz.
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Bild: 12.3.1938: Deutsche Truppen rücken in Bregenz ein.
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Bild: Kolonne des Reichsarbeitsdienstes
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Bild: Hitlerjugend beim Marschieren
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Bild: Die Totenfeier für die rund 200 Opfer des Bombenangriffs auf Feldkirch wurde von den Nationalsozialisten zu einer Propagandaveranstaltung genützt.
Die Totenfeier für die rund 200 Opfer des Bombenangriffs auf Feldkirch wurde von den Nationalsozialisten zu einer Propagandaveranstaltung genützt.
Bild: Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Vorarlberg. Stecken gebliebene Fahrzeuge der vor den vorrückenden Franzosen Richtung Arlberg flüchtenden Wehrmacht
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