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Thomas Lirer Zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts

Die Persönlichkeit des Thomas Lirer, des Verfassers einer 'Schwäbischen Chronik', bleibt nach wie vor in Dunkel gehüllt. Keine der bisher vorgetragenen Thesen vermag zu befriedigen. Als These I wäre das zu betrachten, was Lirer selbst über sich aussagt. Demnach wäre er zu Rankweil in der Herrschaft Feldkirch "gesessen", also dort wohnhaft gewesen. Er bezeichnet sich weiters als Knecht eines Herrn von Werdenberg, mit dem er nach Portugal gefahren und wieder heimgekommen sei. Schließlich will er sein Werk im Jahre 1133 beendet haben. Diese Zeitangabe kann schon deshalb nicht zutreffen, weil die Grafen von Werdenberg erst im 13. Jahrhundert nachweisbar werden. Auch schreibt Lirer erkennbar im 15. Jahrhundert. Man wird füglich auch den Rest der Angaben in Frage stellen müssen, sieht man vielleicht einmal davon ab, dass er wirklich in einer Verbindung zu den Grafen von Montfort stand, die von etwa 1401 bis 1483 die Schlossherren auf Werdenberg waren.

Es bleibt daher von Anfang an nicht unproblematisch, wenn die These II (vertreten von Josef Zösmair, 1886; Hans Nägele, 1970; Otmar Längle, 1976; zuletzt Eugen Thurnher, 1985) den Namen Thomas Lirer mit einem in historischen Quellen um 1470 tatsächlich mehrfach belegten Thomas Lür in Beziehung bringt, der zwar nicht in Rankweil, wohl aber im benachbarten Götzis und Altach (und damit jedenfalls in der Herrschaft Feldkirch) nachweisbar ist. Es würde aber einmal der Verschleierungstaktik des Verfassers widersprechen, wenn man ihn letztlich doch auf so einfache Weise als eine historische Persönlichkeit identifizieren könnte. Zum anderen ist der historische Thomas Lirer ein ungebildeter Bauer. Es mag also allenfalls sein, dass irgendwelche Eigenschaften jenes Bauern den Verfasser der Schwäbischen Chronik veranlasst haben könnten, in dessen Rolle zu schlüpfen.

Somit bleibt nur die freilich unbefriedigende These III (vertreten von Karl Heinz Burmeister, 1976; Klaus Graf, 1985, 1987; Norbert H. Ott, 1990), derzufolge der Verfasser der Schwäbischen Chronik ein Anonymus ist, ein konservativer und adelstreuer Geist, der dem Hause Montfort verbunden war, ein "laicus peritus" (gebildeter Laie), am ehesten ein Schreiber, der wohl auch über Erfahrungen als Gerichtsschreiber verfügte. Zur Wirkungsgeschichte der Schwäbischen Chronik ist noch zu bemerken, dass Lirer häufig gelesen und zitiert wurde und dass seine Ursprungssagen vor allem bei den betroffenen Adelsgeschlechtern Anklang fanden. Dagegen wurde er durch wissenschaftliche Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts ebenso wie im 19. Jahrhundert durchwegs verworfen, wenn nicht gar wegen seiner "Lügengeschichten" angeprangert. In neuerer Zeit hat Lirer wieder größere Beachtung gefunden; insbesondere wurde sein Werk wegen seines politischen Anliegens, nämlich schwäbisches Herkommen gegen die sich ausbreitende habsburgische Herrschaft zu verteidigen, neu bewertet. Viele der von Lirer mitgeteilten Geschichten bleiben weiterhin ebenso rätselhaft wie seine Person, sodass zu erwarten ist, dass auch künftig die Diskussion um Leben und Werk dieses spätmittelalterlichen Chronisten nicht verstummen wird. K.H.B.

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Bild: Familientreffen der Montforter. Holzschnitt aus Thomas Lirers Schwäbischer Chronik, Ulm 1486
Familientreffen der Montforter. Holzschnitt aus Thomas Lirers Schwäbischer Chronik, Ulm 1486