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Scharfrichter

Gegen Ende des Mittelalters setzte sich im gesamtdeutschen Raum der Scharfrichter allmählich als alleiniger Vollstrecker der schweren Leibes- und Todesstrafen durch. 1470 erfahren wir erstmals auch vom Wirken eines Scharfrichters im Gebiet des heutigen Vorarlberg. Da im Lande niemand ansässig war, der diese Profession ausübte, forderten Bürgermeister und Rat der Stadt Bregenz den Ravensburger Henker an, um eine Hinrichtung mit dem Schwert (= Enthauptung) vorzunehmen. Als diese dem Ravensburger Meister missglückte, fielen die Zuschauer über ihn her und erschlugen ihn.

Mitte des 16. Jahrhunderts ließ sich mit Meister Mathis Pflug erstmals ein Scharfrichter in Bregenz nieder. Der Zuständigkeitsbereich des Bregenzer Scharfrichters deckte sich im Großen und Ganzen mit den österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg. Während der ersten Jahrzehnte war er darüber hinaus auch noch für die Grafschaft Vaduz und für Churwalchen zuständig. Auch in den reichsunmittelbaren Gebieten der Grafen von Hohenems griff man bis Mitte des 17. Jahrhunderts auf den Bregenzer Scharfrichter zurück. Hier wurde erst 1649 ein eigener Henker angestellt, der in der Folge für die Reichsgrafschaft Hohenems, den Reichshof Lustenau und zeitweise auch für Feldkirch zuständig war. Über die Gründe, die zur Anstellung eigener Scharfrichter in Bregenz und Hohenems führten, ist uns bislang nichts Näheres bekannt. In beiden Gebieten fallen die Anfänge der ersten Welle der lokalen Hexenverfolgungen und die Niederlassung eines professionellen Henkers etwa in dieselben Jahre, sodass ein Zusammenhang nicht unwahrscheinlich scheint.

Die Scharfrichter waren in erster Linie für die Vollstreckung der verschiedenen Todesstrafen zuständig. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert sind in Vorarlberg das Enthaupten, das Hängen, das Vierteilen, das Rädern, das Lebendigbegraben, das Ertränken und das Verbrennen bezeugt, wobei die besonders grausamen Strafen wie Vierteilen und Rädern um die Mitte des 18. Jahrhunderts so etwas wie eine Renaissance erlebten. Sie wurden vor allem bei den Mitgliedern vagierender Randgruppen, besonders aber bei Zigeunern, verhängt. 1749 wurden beispielsweise in Lustenau und Hohenems mehrere Mitglieder einer Räuberbande auf diese grausame Art zu Tode gebracht. Noch 1772 wurde in Dornbirn auch ein Einheimischer gerädert, der versucht hatte, die Familie des ortsansässigen Müllers durch Beimengen von Mäusegift unter das Mehl auszurotten, um so in den Besitz des Mühllehens zu gelangen.

Auch die Durchführung der 'peinlichen Befragung' (= Folter) sowie die Vollstreckung von Verstümmelungs- und Körperstrafen gehörten zum Aufgabenfeld der Scharfrichter.

Ein weiteres Betätigungsfeld fanden sie in der so genannten Abdeckerei. Als Wasenmeister waren sie für die fachgerechte Beseitigung verendeter Tiere zuständig. Diese konfliktreiche Tätigkeit – häufig wurde versucht, den Abdecker zu umgehen – verpachteten sie nicht selten an ihre Knechte oder an andere, im Moment "arbeitslose" Scharfrichter.
Fast alle Vorarlberger Scharfrichter betätigten sich auch als Tierärzte und als Humanmediziner. Ihre anatomischen Kenntnisse, aber auch die ihnen zugeschriebenen magischen Fähigkeiten verliehen ihnen in den Augen der Bevölkerung großes Ansehen als Heiler. Nicht selten kam es deswegen zu Konfliktsituationen mit universitär gebildeten rzten.

Die Scharfrichter zählten zu den so genannten unehrlichen Leuten, worunter wir so etwas wie eine verminderte Rechtsstellung zu verstehen haben. Auf Grund ihrer Herkunft war den Scharfrichtern und ihren Kindern der Zugang zu den "ehrlichen" Berufen (z.B. Handwerk) sowie der unkontrollierte Umgang mit den "ehrlichen" Leuten untersagt. Ihre Unehrlichkeit, die in starkem Maße situationsgebunden war, konnte durch eine Berührung des Scharfrichters oder seiner Handwerksgeräte ebenso auf andere Personen übertragen werden wie durch den – unter Umständen unbeabsichtigten – Eingriff in eine ihrer Tätigkeiten. Aus diesem Grund wurden selbst relativ kleine Reparaturen an Galgen und Strafgeräten in der Regel durch eine Vielzahl von Handwerkern durchgeführt, damit keiner dem anderen etwas Nachteiliges nachsagen konnte.

Die Scharfrichter fanden ihre Ehepartner in der Regel bei Berufskollegen. So waren die Vorarlberger Scharfrichterfamilien (Vollmar, Reichle, Deigentesch) mit den meisten Henkerfamilien der umliegenden Herrschaften verwandt oder verschwägert. Das Amt wurde in den meisten Fällen vom Vater an den Sohn weitergegeben. Vereinzelt wurde eine Anstellung auch durch "Einheiraten" erlangt, indem ein jüngerer, ausgebildeter Meister die Witwe seines Vorgängers ehelichte. Alles in allem dürfen wir auch in Bezug auf Vorarlberg von "Henkerdynastien" sprechen. Dieses besondere Heiratsverhalten kann nicht auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden. Neben der gesellschaftlichen Randstellung der Henker spielten dabei auch noch andere Gründe eine Rolle, beispielsweise ein oft stark ausgeprägtes Standesbewusstsein, der Wunsch, unliebsame Konkurrenz auszuschalten, oder der Zwang, die an den Gepflogenheiten des zünftigen Handwerkes orientierte, aber nie formal geregelte Ausbildung sicherzustellen.

An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert endet sowohl in Bregenz als auch in Hohenems die Geschichte der traditionellen Vorarlberger Scharfrichterfamilien. Die Neuordnung der Gerichtsbezirke und die Rationalisierung des Strafverfahrens machten den Scharfrichter in der seit dem Ende des Mittelalters bekannten Form und mit seiner berufsspezifischen Ehre überflüssig. Dies drückt sich auch im Verschwinden der alten Scharfrichterfamilien aus. Die Nachkommen der letzten Bregenzer und Hohenemser Henker wanderten entweder aus oder ergriffen andere, "bürgerliche" Berufe. Einige von ihnen gehörten zur ersten Generation der universitär gebildeten Veterinäre Vorarlbergs. Gleichzeitig hatte der Beruf des Scharfrichters auch die sehr stark in magischen Vorstellungen verankerte Aura aus Berührungsangst und scheuem Respekt, die ihn jahrhundertelang umgeben hatte, weitgehend eingebüßt, sodass es seit etwa 1840 durchaus Mitglieder alteingesessener Vorarlberger Familien wie Forster, Helbock, Karg oder Bösch waren, die sich – teils mit Erfolg – um die Anstellung als Henker in den verschiedensten Teilen des österreichischen Staates bemühten.
Mit dem Verschwinden der Vorarlberger Scharfrichterfamilien verschwand jedoch keineswegs die Todesstrafe aus der Geschichte des Landes. Bis 1860 wurde sie nach wie vor öffentlich vollstreckt. Die letzte Hinrichtung in Vorarlberg fällt in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.  W.Sch.

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Bild: Darstellung von Hinrichtungen in Hohenems auf einem Steckbrief aus dem Jahre 1749
Darstellung von Hinrichtungen in Hohenems auf einem Steckbrief aus dem Jahre 1749
Bild: Enthauptungsszene – Detail aus einer Hinrichtungsdarstellung
Enthauptungsszene – Detail aus einer Hinrichtungsdarstellung