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Der Humanismus

Unter Renaissance ('Wiedergeburt') und Humanismus ("das Bemühen um eine der Menschenwürde entsprechende Persönlichkeitsentfaltung") versteht man eine von Italien ausgehende geistesgeschichtliche Epoche, die – an die griechische und römische Antike anknüpfend – für ein individualistisches Menschenbild eintrat, das sie dem herrschenden kollektivistischen, vom kirchlichen Dogmatismus geprägten Denken des Mittelalters entgegensetzte. Als Wegbereiter dieser Geistesströmung gilt vor allem Petrarca. Renaissance und Humanismus führten auch in Vorarlberg zu einer Wiederentdeckung der römischen und dann auch der griechischen Sprache und Literatur, wozu später noch das Hebräische trat. Der "homo trilinguis", der in allen drei Sprachen und deren Literaturen bewanderte Gelehrte, wurde zu einem Ideal, dem es nachzustreben galt. Über die Sprachen glaubte man den Zugang zu den von der kirchlichen Dogmatik unterdrückten Wissenschaften wieder zu finden und völlig neu gestalten zu können. Der Weg zu einem neuen wissenschaftlichen Weltbild war offen; er führte in der Folge zu einer revolutionären Erneuerung der Naturwissenschaften (z.B. der kopernikanischen Wende).

Auch in Vorarlberg lässt sich diese humanistische Bewegung früh feststellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Konzil von Konstanz 1414–1418 ein beachtliches geistiges Potenzial aus allen Teilen Europas an den Bodensee geführt hatte; dasselbe gilt für das Basler Konzil 1431–1449, das ebenfalls in erreichbarer geografischer Nähe stattfand. Mehrere Grafen von Montfort spielten auf dem Konzil von Konstanz ebenso eine Rolle wie auf dem Konzil zu Basel. König Sigismund als einer der Verantwortlichen für beide Konzile weilte wiederholt in Feldkirch. Auch Papst Johannes (XXIII.) übernachtete 1414 in Feldkirch. Die geistige Führung des Landes hatte demzufolge einen leichten Zugang zu jenen Strömungen, die auf den Kirchenversammlungen diskutiert wurden.

Die Wiege des Vorarlberger Frühhumanismus lag denn auch nicht zufällig in Feldkirch. Dank der politischen Bedeutung und der vielfältigen Verbindungen zum Kaiser öffnete sich die Montfortstadt wie keine andere den neuen Geistesströmungen. Schon 1414 weilte der Florentiner Humanist Leonardo Bruni in Feldkirch: Er lobte die Stadt wegen ihrer Wohlhabenheit und ihrer imponierenden Gebäude, aber auch wegen des Reichtums ihrer Wein- und Obstgärten. Die Ersten im Bodenseeraum, die eine humanistische Bibliothek besaßen, waren die Brüder Hans und Heinrich von Lupfen (Heinrich wirkte als Vogt von Feldkirch) auf Schloss Hewen in Hegau. Ihre "Liberei", als "magna et pretiosa bibliotheca" gepriesen, enthielt Werke von Vergil, Cicero, Seneca, Livius, Plinius, Aristoteles und Platon; Bücher, die der Kirche eher suspekt waren. hnlich waren aber auch die Bibliotheken bürgerlicher Frühhumanisten in Feldkirch ausgerichtet. Ludwig Rad, Pfarrer zu St. Nikolaus in Feldkirch, besaß die Komödien des Plautus und Terenz, die "Bucolica" Vergils, die "Tristia" Ovids, sogar dessen "Ars amandi", die "Pharsalia" Lucans, aber auch alle so genannten neulateinischen Dichter wie Petrarca, Poggio, Lorenzo Valla, nicht zuletzt auch den Liebesroman "Euryalus et Lucretia" des Enea Silvio, zu welchem sich dieser als Papst Pius II. später gar nicht mehr so gern bekennen wollte. Der Feldkircher Arzt Hieronymus Münzer hatte in seiner Bibliothek u.a. 49 lateinische Klassiker und 56 Neulateiner; einen Terenz schrieb er 1470 in vielen nächtlichen Stunden eigenhändig ab. Diese Bibliotheksstrukturen wiederholen sich bei fast allen Humanisten; im 16. Jahrhundert traten noch hebräische Sprachwerke hinzu.
Zu den Vorarlberger Frühhumanisten zählen neben dem Kirchenrechtler Ludwig Rad (1420–1492) der Mönch Viktor Nigri, ein früher Kenner der griechischen und hebräischen Sprache, der Arzt Ulrich Ellenbog (1435–1499), dessen Schrift "Von den gifftigen Besen Tempffen vnd Reuchen der Metal" (1473) als das erste gewerbehygienische Werk der Weltliteratur gilt, der Theologe Hugo Zoller (1446–1480) sowie der Arzt und Geograf Hieronymus Münzer (1447–1508); sie alle sind aus Feldkirch gebürtig. Münzer, der Schöpfer einer der ersten Deutschlandkarten (1493), verfasste eine Beschreibung seiner Reise durch Spanien und Portugal. Bekannt wurde er vor allem durch seinen denkwürdigen Brief, mit dem er den König von Portugal zu einer Westfahrt über den Atlantik nach Indien aufforderte und damit ein erstes Zeichen für den Weitblick der Feldkircher Humanisten setzte: Hätte nicht schon Kolumbus 1492 Amerika entdeckt, so wäre vielleicht Münzer diese historische Leistung gelungen.

In Feldkirch wurde der Humanismus zu einer wahren Volksbewegung. Eltern begannen damit, ihre Kinder auf antike Namen wie "Aristoteles" oder "Hippokrates" zu taufen. Es entstand ein Buchmarkt, der bis nach Chur, St.Gallen und Ravensburg ausstrahlte. An die 150 Feldkircher Studenten zogen auf die neu gegründeten humanistischen Universitäten Freiburg, Basel, Tübingen und Ingolstadt. Die Stadt verschrieb sich einer humanistischen Kulturpolitik. Ein Lindauer Lateinschulmeister verstieg sich sogar zu dem Lob, Feldkirch habe mehr gelehrte Männer hervorgebracht als Rom.

Die jüngere Generation der Feldkircher Humanisten waren meist Ärzte: der als Zauberer hingerichtete Georg Iserin († 1528), der Botaniker Gabriel Hummelberg († 1544), der Astronom und Historiker Achilles Pirmin Gasser († 1577) sowie der Mathematiker und Astronom Georg Joachim Rheticus (†1574), der 1540 erstmals über das heliozentrische System des Kopernikus berichtete und als Künder des kopernikanischen Weltbildes in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist. Auch er bewies, ähnlich wie Münzer, großen Weitblick gegen starke Widerstände der katholischen wie auch der protestantischen Kirche. Er bewies seine geistige Unabhängigkeit auch durch seinen Einsatz für den umstrittenen Paracelsus. Nur nebenbei sei erwähnt, dass Rheticus als der bedeutendste Mathematiker seiner Zeit gilt und dass sein Tafelwerk "Opus Palatinum" noch im 20. Jahrhundert für die Raumfahrt verwendet wurde. Zu den Feldkircher Humanisten ist auch der in Leipzig wirkende Gräzist Johannes Metzler († 1538) zu zählen.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass eine konsequente Linie vom Humanismus zur Reformation führte. Es ist daher kein Zufall, dass mehrere Vorarlberger 1517, zur Zeit des Thesenanschlags von Martin Luther, in Wittenberg wirkten, unter ihnen der herausragende Reformator Bartholomäus Bernhardi aus Schlins.

Das Vorbild Feldkirchs wirkte auch auf die anderen Städte Vorarlbergs zurück. Die Bregenzer Humanisten waren meist Juristen. Der wohl bekannteste ist Jakob Mennel (1460–1526), der sich als Hofgeschichtsschreiber Kaiser Maximilians I. durch seine historische Methode einen Namen in der Fachwelt machte. Der jung verstorbene Johann Ulrich Zasius († 1547) gab einen 1551 gedruckten "Catalogus legum antiquarum" heraus, ein Verzeichnis bedeutender römischer Gesetze. Zu erwähnen sind auch zwei Bregenzerwälder Notare, nämlich Urban Handteler aus Andelsbuch († nach 1539), Universitätspedell und Universitätsnotar in Freiburg/Brüssel, und Christoph Stültz aus Bizau, Sekretär des Klosters Murbach und Stadtschreiber in Gebweiler (Elsass), der 1542 in Straßburg das Verwaltungshandbuch "Eyn new Rechenbuch über eyn gantze Amptsverwaltung" veröffentlichte.

Die Stadt Bludenz stellte vor allem Reformatoren, aber auch Juristen wie Hieronymus Huser, ein berühmter Anwalt am Reichskammergericht, der überdies mit Gutachten für die Reformation eintrat, sowie Johannes Steinhauser und Johannes Fleisch († vor 1536), die beide an der Freiburger juridischen Fakultät Vorlesungen hielten. Aus Bludenz gebürtig war auch der neulateinische Dichter Matthias Paulinus, der neben zahlreichen lateinischen Gedichten auch eine erziehungstheoretische Schrift verfasste. Unter den Bludenzer Reformatoren wirkten im Sinn des Humanismus vor allem der Gräzist Jakob Bedrot und der Hebraist Lucius Kyber. Als Gräzist und Hebraist machte sich auch Jakob Jonas († 1558) aus Götzis einen Namen, der unter Kaiser Ferdinand I. zum Reichsvizekanzler und damit zum obersten Beamten des Reiches aufstieg. Schließlich bliebe noch der Arzt, Gräzist und Geograf Ulrich Fabri († 1544) aus Dornbirn zu erwähnen, von dem u.a. eine Einführung in die Geografie "Geographiae Introductorium" (1519) überliefert ist.

Die große Vielseitigkeit der Vorarlberger Humanisten erfüllt uns heute mit Staunen, nicht weniger aber die von einem Münzer oder Rheticus bewiesene geistige Freiheit, die sie aus einem von der Kirche für unveränderlich erklärten Weltbild zum Fortschritt der Wissenschaften und zur Entwicklung der Menschheit ausbrechen ließ. Die zwangsweise durchgeführte Gegenreformation führte ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem jähen Verfall der Geisteskultur in Feldkirch und im übrigen Vorarlberg; Bücherverbrennungen sind die hässlichen Begleiterscheinungen dieses Niedergangs und sehr bald gingen diese in zahlreiche Hexenverbrennungen über.   K.H.B.

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Bild: Achilles Pirmin Gasser, der Stadtarzt von Feldkirch, nach einer Zeichnung von 1571
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Bild: Bericht von Gasser über den Kometen im Januar des Jahres 1538
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Bild: Feldkirch in der Mitte des 16. Jahrhunderts, als Humanismus und reformatorische Bestrebungen von der Gegenreformation abgelöst wurden.
Feldkirch in der Mitte des 16. Jahrhunderts, als Humanismus und reformatorische Bestrebungen von der Gegenreformation abgelöst wurden.
Bild: Die Schrift `Von den gifftigen Besen Tempffen ...´ des Frühhumanisten Ulrich Ellenbog aus dem Jahre 1473 gilt als erstes gewerbehygienisches Werk der Weltliteratur.
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