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Die Familie Graßmayr

Die Graßmayr stammten aus dem Tiroler Ötztal; dort lassen sich Angehörige der Sippe schon im 16. Jahrhundert nachweisen. Über Generationen waren sie als Glockengießer tätig. 1787 wurde Johann Graßmayr Bürger von Feldkirch; sein jüngerer Bruder Jakob Veit (1755–1829) machte sich 1791 dauerhaft in der Stadt ansässig und richtete in der Marktgasse, also im Stadtzentrum, eine Gießerei ein. Er heiratete Maria Elisabeth Christine Neyer aus Feldkirch, die eine beträchtliche Mitgift einbrachte; die beiden zeugten sechs Töchter und drei Söhne. Graßmayr goss Messinggeräte und vereinzelt Kanonen. Er und seine Nachfahren monopolisierten im 19. Jahrhundert offenbar die Glockengießerei in Vorarlberg und führten auch Aufträge aus der Ostschweiz aus.

1823 wurde Jakob Veits Sohn Josef Anton I. (1799–1840) Teilhaber der Firma. Im Jahr darauf heiratete er Maria Anna Katharina Zimmermann aus Altenstadt, die durch ihre Mitgift zur Vergrößerung des Vermögens beitrug. Das Paar hatte sechs Knaben und zwei Mädchen. Josef Anton I. baute den Betrieb weiter aus und erweiterte die Produktpalette. So wurde 1825 in einem neuen Gebäude eine Bleiwalze errichtet, ein anderer Teil desselben wurde an den Zürcher David Kitt für seine mechanische Spinnerei vermietet. Dies brachte Graßmayr möglicherweise auf die Idee, sich selbst als Textilproduzent zu betätigen. 1832 gründete er eine eigene Spinnerei und wenige Jahre später eine mechanische Werkstätte und Eisengießerei in Frastanz. In diesem Zeitraum erlebte Vorarlberg eine erste große Gründerzeit. Damals standen nur mehr wenige ungenützte Wasserläufe zur Verfügung; Graßmayr wich daher ins benachbarte Tirol aus und gründete in Telfs eine weitere Spinnerei mit 10.000 Spindeln.

Der Auf- und Ausbau der Betriebe erlitt einen schweren Rückschlag, als Josef Anton 1840 von einer Kanone erdrückt wurde. Für die Witwe und die minderjährigen Kinder leitete in den folgenden Jahren der Mechaniker Jakob Sprenger – wahrscheinlich ein Schweizer – den Betrieb; um 1844 stieg Josef Anton II. (1827–1882) in die Geschäftsleitung ein. Er beteiligte sich an einer Baumwollspinnerei in Reutte in Tirol sowie an einer weiteren in Montorio bei Verona. Misslungene Aktienspekulationen Sprengers, die Wirtschaftskrise der späten 40er Jahre des 19. Jahrhunderts und die darauf folgende Revolution brachten die Firma jedoch in arge Bedrängnis; 1854 mussten die Besitzer schließlich den Konkurs anmelden. Die Maschinenfabrik und Spinnerei Frastanz sowie die Spinnereien in Telfs, Reutte und Montorio gingen verloren und die Familie sah sich nun wieder auf ihre Glockengießerei in Feldkirch sowie auf eine Holzspulendreherei in Rankweil beschränkt.

Josef Anton heiratete 1858 Rosina Melk aus Bludesch. Unter den vier Kindern waren zwei Söhne, von denen der eine allerdings schon als Säugling starb. Der Familie gelang es zwar, die Folgen des Konkurses allmählich zu überwinden, aber als Josef Anton II. 1882 starb, entspann sich ein Familienstreit: Sein erst 20-jähriger Sohn Josef Anton III. (1862–1927) wurde als Nachfolger abgelehnt. Dessen Onkel Raimund und andere Verwandte leiteten den Betrieb ohne rechten Schwung weiter; fünf Jahre nach Raimunds Tod, 1909, kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges, ging die Firma erneut in Konkurs.

Josef Anton III. schaffte es auf die Dauer gleichfalls nicht, sich wieder emporzuarbeiten. In Feldkirch besuchte er das Jesuitengymnasium Stella Matutina, trat aber vor dem Schulabschluss eine Lehre als Glocken- und Metallgießer an. Nach seiner Ablehnung als Firmenchef übersiedelte er mit Mutter und Schwester nach Innsbruck und lebte dort in ärmlichen Verhältnissen. Er arbeitete als Gießer in mehreren Fabriken und heiratete die Dienstmagd Anna Franziska May, mit der er zehn Kinder hatte. 1890 gründete er in Absam eine Gießerei und mechanische Werkstätte und experimentierte mit der Herstellung und Verbesserung von Feuerspritzen; auch als Glockengießer versuchte er sich. 1903 musste er den Betrieb jedoch verkaufen und hielt sich in Vorarlberg als Gutsbesitzer und Gastwirt über Wasser.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war den Graßmayrs ein außerordentlicher Aufstieg gelungen; dabei war die Firma aber möglicherweise zu schnell gewachsen. Mitentscheidend für ihren Niedergang dürfte der Umstand gewesen sein, dass die Firmeninhaber der zweiten und dritten Generation starben, ehe ihre Nachfolger das für eine Übergabe geeignete Alter erreicht hatten. H.W

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Bild: Die Graßmayr
Die Graßmayr'sche Spulen- und Spindelfabrik (hinten links) hinter der Herrenmühle in Feldkirch um 1900
Bild: Josef Anton Graßmayr erhielt den Auftrag für den Guss der großen Glocke des Feldkircher Katzenturms. Abgebildet ist der Aufzug im Jahre 1857. Detail aus einer Schützenscheibe der Feldkircher Schützengesellschaft
Josef Anton Graßmayr erhielt den Auftrag für den Guss der großen Glocke des Feldkircher Katzenturms. Abgebildet ist der Aufzug im Jahre 1857. Detail aus einer Schützenscheibe der Feldkircher Schützengesellschaft
Bild: Der Feldkircher Betrieb Graßmayrs um 1860
Der Feldkircher Betrieb Graßmayrs um 1860