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Die Auswanderung von Vorarlbergern nach Amerika

Schon ab dem 17. Jahrhundert spielte die saisonale Auswanderung aus Vorarlberg eine wichtige Rolle. Besonders aus dem Montafon und dem Hinteren Bregenzerwald wanderten jährlich Tausende Männer auf Baustellen im süddeutschen Raum, in Frankreich und in der Schweiz. Und gerade in diesen Gebieten wurden Vorarlberger Wanderarbeiter schon sehr früh mit der Möglichkeit der Überseewanderung vertraut gemacht. Alle frühen erfolgreichen Amerikaauswanderer sind nicht direkt von Vorarlberg aus nach Amerika ausgewandert: so etwa der Dornbirner Maler Franz Martin Drexel (1792–1865), Gründer des gleichnamigen Bankhauses in Philadelphia, oder Johann Joseph Ganahl (1796–1837), Baumwollhändler in Savannah/Georgia, oder der Montafoner Kirchenbaumeister und Zeitungsverleger Franz Saler (1808–1893) in St. Louis.

Im Gegensatz zu den übrigen österreichischen Gebieten setzte in Vorarlberg der erste Schub einer massiven Auswanderung nach Amerika bereits um 1850 ein und fand – wie in Süddeutschland – seinen Höhepunkt im Jahre 1854. An die 300 Vorarlberger und Vorarlbergerinnen wanderten in diesem einen Jahr in die USA aus.

Neben Vorarlberg hatte innerhalb der Habsburgermonarchie nur Böhmen zu dieser Zeit eine prozentual ähnlich hohe Auswanderungsrate. Beide Gebiete befanden sich im industriellen Umbruch. Die frühe Maschinenindustrie hatte im Gegensatz zur vorausgehenden Hausindustrie keine neuen Arbeitsplätze gebracht, sondern viele alte wegrationalisiert. Dabei war gerade in der Phase der Protoindustrialisierung, also etwa zwischen 1750 und 1830, die Vorarlberger Bevölkerung von ehemals relativ stabilen 60.000 auf über 100.000 Einwohner angewachsen. Wie sehr die Amerikawanderung der 1850er Jahre mit dem Aufkommen der Fabrikindustrie zusammenhängt, zeigt auch die Tatsache, dass die nunmehrigen Zentren der Abwanderung nicht mehr die Berggebiete waren, sondern die Industrieorte Dornbirn, Hohenems, Frastanz und Wolfurt.

Das soziale Profil dieser Auswanderer war recht einheitlich: Nahezu alle stammten aus kleinbäuerlichen Verhältnissen oder waren Handwerker ohne eigenen Betrieb. Das angestrebte Ziel war deshalb die berufliche Selbstständigkeit im neuen Land. Den unmittelbaren Wanderungsanlass bildete oft eine drohende Einberufung zum Militär oder die Werbung der zahlreichen Schweizer Agenten.

In der Neuen Welt


Die Hauptansiedlungsorte der Vorarlberger Auswanderer bis zum Bürgerkrieg waren in der Regel vom Herkunftsort bestimmt. Nach dem Prinzip der Kettenwanderung ließ man sich zumindest in der Anfangsphase dort nieder, wo schon Landsleute als Arbeitgeber fungierten. So kam der überwiegende Teil der zahlreichen Dornbirner nach Dubuque am Mississippi, weil hier der Bierbrauer und Destilleriebesitzer Josef Rhomberg (1833–1897) berufliche Startmöglichkeiten bot. Und von hier aus konnte die Landnahme westlich des Mississippi vorbereitet werden.
Andere Erstansiedlungsorte waren vor allem St. Louis, wo sich nach dem Erfolg Franz Salers praktisch alle ausgewanderten Montafoner niederließen; weiters Fremont in Ohio, wo die Mehrzahl der Wolfurter startete.

Viele Vorarlberger wurden in dieser Phase des amerikanischen Landesausbaus Farmer im jeweiligen Frontier-Gebiet: zuerst in Illinois, Iowa und Minnesota, später immer westlicher in Kansas, Nebraska, Colorado, Washington und Oregon.

Die in den Städten blieben, arbeiteten in erster Linie im Baugewerbe. Etliche wurden Wirte und Brauer, während die geistigen Berufe – der sozialen Schichtung der Auswanderer entsprechend – stark unterrepräsentiert waren.

Auffällig ist, dass die Vorarlberger Auswanderer dieser Zeit kaum in Fabriken arbeiteten. Sie waren ja der zu Hause drohenden Proletarisierung entflohen.

Die Stickerei zieht um


Eine zweite große Auswanderungswelle wurde durch die Stickereikrise ab etwa 1885 ausgelöst.

Etliche Gemeinden im Rheintal hatten sich seit etwa 1870 fast ausschließlich auf die heimindustrielle Stickerei eingelassen. Die Fertigprodukte wurden von sankt-galler Handelshäusern exportiert, und die USA waren der mit Abstand größte Abnehmer.

Zum Schutz der eigenen Industrie belegte die US-amerikanische Regierung Ende der 1880er Jahre neben anderen Waren auch Stickereiprodukte mit 60% Zoll. So begannen die Schweizer Teile ihrer Produktion nach Amerika zu verlegen. Diesem Vorbild folgten bald auch die Vorarlberger und so entstand im Bergen und im Hudson County von New Jersey eine ganze Stickerkolonie. Aus Lustenau wanderten ganze Familien nach New Jersey aus, wobei sie ihre Stickmaschinen mit sich nahmen. Die Konzentration so vieler Lustenauer und Höchster an einem Ort und in einer Branche führte zur Entstehung eines geschlossenen Vorarlberger Milieus in den nebeneinander liegenden Orten Union City, West New York und North Bergen. Die Sticker gründeten einen 'Vorarlberger Fortschrittsverein', einen Fischereiclub, einen Schützenverein, eine Blasmusik und 1927 sogar einen eigenen Fußballclub.

Zwischenkriegszeit

Der überwiegende Teil der Auswanderer in dieser Zeit stammte wiederum aus Lustenau, Höchst und Wolfurt und hatte bereits Verwandte in Amerika. Dies war deshalb von Bedeutung, weil die US-amerikanische Regierung ab 1923 Immigranten nach Herkunftsländern quotiert hatte und jeder Einwanderer einen US-Bürgen benötigte.
Trotz der angepriesenen Kolonistenmöglichkeiten in Südamerika und der leichteren Einreisemöglichkeit nach Kanada gingen noch gut zwei Drittel aller Vorarlberger Überseewanderer in die USA. Viele verstanden sich nun als Wanderer auf Zeit, die nur der heimischen Arbeitslosigkeit entgehen oder schnelles Geld verdienen wollten. Den Arbeitsmarktgesetzen eines Einwanderungslandes entsprechend mussten die ungelernten Einwanderer der 1920er Jahre meist ganz unten anfangen. Das ist in den meisten Fällen wörtlich zu nehmen: nämlich als Tellerwäscher in Hotel- und Spitalsküchen, die sich in der Regel im Keller befanden. Der gängige Aufstieg war aber nicht der zum Millionär, sondern bestenfalls der zum Koch. Die Zielgebiete für diese Dienstleister waren die Großräume von New York und Chicago.

Durch den Zweiten Weltkrieg konnten die meisten Auswanderer dieser Zeit ihre Rückwanderungsabsichten nicht mehr verwirklichen. Viele gedachten aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit großzügigen Spenden ihrer alten Heimat.

Der Großteil der etwa 5.000 Vorarlberger aller drei Auswanderungswellen brachte es in Amerika nach hartem Beginn zu einem ordentlichen Auskommen, das heißt zu einem höheren Lebensstandard, als sie ihn zur gleichen Zeit zu Hause gehabt hätten, und zu besseren Aufstiegs- und Bildungschancen für ihre Kinder. Herbert Spencer Gasser, Sohn eines ehemaligen Dornbirner Schusters, erhielt beispielsweise 1944 den Nobelpreis für Medizin.

Etwa 10% aller Auswanderer fanden sich im neuen Land nicht zurecht, starben bald, verunglückten, blieben unglücklich passiv oder kehrten zurück.
Ein kleiner Teil aber brachte es zu bedeutendem Wohlstand und ein noch kleinerer – etwa der Bregenzerwälder Industriepionier Johann Michael Kohler (1846–1899) oder der aus Hohenems stammende Buchhändler August Brentano (1828–1886) – zu nationaler Bedeutung. M.P.

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Bild: Darstellung der Überfahrt nach Amerika auf einer Schützenscheibe von Xaver Winder zur Verabschiedung von seinen Schützenfreunden. Schützengesellschaft Feldkirch
Darstellung der Überfahrt nach Amerika auf einer Schützenscheibe von Xaver Winder zur Verabschiedung von seinen Schützenfreunden. Schützengesellschaft Feldkirch
Bild: Die Gefahren der Überfahrt werden durch dieses Votivbild aus Vandans besonders deutlich.
Die Gefahren der Überfahrt werden durch dieses Votivbild aus Vandans besonders deutlich.
Bild: Aus den Stickereigemeinden des Rheintals wanderten ab 1890 viele Sticker in das Gebiet um New York aus; so auch die drei Höchster Brüder Brunner, die in West New York/New Jersey um 1915 eine Stickerei betrieben.
Aus den Stickereigemeinden des Rheintals wanderten ab 1890 viele Sticker in das Gebiet um New York aus; so auch die drei Höchster Brüder Brunner, die in West New York/New Jersey um 1915 eine Stickerei betrieben.
Bild: Diejenigen Auswanderer, die es zu etwas gebracht hatten, zeigten dies auch bei Besuchen in der alten Heimat. Der Stickereibesitzer Ferdinand Bösch (ganz links) brachte 1925 beim Heimatbesuch sein Automobil nach Lustenau mit.
Diejenigen Auswanderer, die es zu etwas gebracht hatten, zeigten dies auch bei Besuchen in der alten Heimat. Der Stickereibesitzer Ferdinand Bösch (ganz links) brachte 1925 beim Heimatbesuch sein Automobil nach Lustenau mit.