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Turn- und Sportgeschichte Vorarlbergs

Ein Überblick über die Geschichte von Turnen und Sport in Vorarlberg erfordert zunächst eine Begriffsbestimmung. Sport stellt im heutigen Sprachgebrauch einen Sammelbegriff dar und umfasst alle möglichen Formen der Leibesübungen, auch das Turnen. 'Sport' wurde zuerst in England betrieben und unterschied sich vom Turnen in der Bedeutung der absoluten Leistung des Einzelnen, im Streben nach Höchstleistungen (Rekorden), in der Messbarkeit der Leistungen und in der Spezialisierung auf einzelne Disziplinen. Wesentliches Merkmal des Turnens war neben einer ausgewogenen Körperausbildung vor allem die Erziehung zum "sittlichen und vaterlandsliebenden" Menschen (Friedrich Ludwig Jahn). Das Turnen war gekennzeichnet durch eine enge Bindung an weltanschauliche Bewegungen wie Nationalismus, Liberalismus oder Sozialismus. Fast ein Jahrhundert lang standen Turnen und Sport einander diametral gegenüber. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Turnen eine von vielen Sportarten.

Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg

Schon vor vielen Jahrhunderten wurde gerannt, gesprungen, gejagt, geschwommen, gewandert. Bereits im 17. Jahrhundert wurde etwa das Baden im Bodensee durch eine Verordnung des Stadtmagistrats von Bregenz geregelt, die das Baden nicht nur zeitlich limitierte, sondern auch eine strenge Trennung nach Geschlechtern befahl. Die Anfänge einer vereinsmäßig organisierten Turn- und Sportbewegung gehen auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Unter dem Einfluss deutscher Facharbeiter wurden 1849 in Bregenz und 1851 in Feldkirch die ersten "Turngemeinden" des Landes gegründet. Von allem Anfang an stand dieses auf den Grundsätzen von "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn begründete so genannte "deutsche" Turnen in einem engen Zusammenhang mit den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes. Noch vor dem Ersten Weltkrieg entwickelten sich drei voneinander unabhängige, weltanschaulich klar abgegrenzte Turnrichtungen: eine deutschnationale, eine christlichsoziale und eine sozialdemokratische. Nur bei den Turnern kam es auch zur Gründung von so genannten Fachverbänden. 1883 wurde der deutschnationale Vorarlberger Turngau gegründet, 1906 der katholische Vorarlberger Turner- und Athletenverband (ab 1908 Vorarlberger Rheingau).

1885 wurde mit dem Ruder- und Segelclub Bregenz der erste Sportverein des Landes gegründet. Bis zum Ersten Weltkrieg erfolgten weitere Vereinsbildungen im Eislaufen, Fußball, Radfahren, Rudern, Segeln, Skilaufen und Stemmen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg sorgten mehrere Vorarlberger Sportler für herausragende (sportliche) Leistungen: Otto Madlener belegte bei den Europameisterschaften 1904 im Ringen (in Wien) den 5. Rang; Dr. Karl Blodig bestieg alle 66 Viertausender der Alpen; die Skipioniere Viktor Sohm, Josef Bildstein, Josef Georg Bilgeri und Hannes Schneider legten den Grundstein für den ausgezeichneten Ruf, den Vorarlberg als Skisportland bis heute weit über die Grenzen des Landes hinaus genießt. Mit seinem österreichischen Rekord von 41 m (1911 in Bad Aussee) und dem österreichischen Meistertitel im Jahre 1913 war Josef Bildstein auch der erste in einer Reihe herausragender Vorarlberger Spitzensportler im Skifahren.

Turnen und Sport in der Ersten Republik (1918–1938)

Die wesentlichsten Merkmale des Turn- und Sportgeschehens in der Ersten Republik in Vorarlberg waren dessen zunehmende Verpolitisierung, die Ablösung des Turnens als vorherrschende Form der Leibeserziehung durch den Sport, die Internationalisierung des Wettkampfwesens und die immer stärker werdende Emanzipation der Frauen im Sport.

Die Turn- und Sportbewegung blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg in drei Lager gespalten. Die politischen Auseinandersetzungen der 1930er Jahre mit dem Bürgerkrieg im Februar 1934 und der Ermordung des christlichsozialen Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß durch Nationalsozialisten als Höhepunkt führten zum einen zur Auflösung aller sozialdemokratischen Turn- und Sportvereine im Februar 1934, zum anderen aber auch zu einer starken Polarisierung des bürgerlichen Lagers. Hatte sich der Vorarlberger Rheingau kurz nach dem Ersten Weltkrieg noch energisch gegen eine Vereinnahmung durch den Vorarlberger Turngau gewehrt, so scheiterten ab 1934 alle politischen Versuche, die beiden Turnverbände in einer Einheitsturnerschaft zu vereinen, am Widerstand des Vorarlberger Turngaus. Das offensichtliche Nahverhältnis einiger "völkischer" Turn- und Sportverbände (z.B. des Vorarlberger Turngaus, des Verbands Vorarlberger Skiläufer) zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) führte zur behördlichen Auflösung mehrerer Turn- und Sportvereine und zum Rücktritt maßgeblicher Sportfunktionäre.

Unabhängig von der Turnbewegung entwickelte sich in Vorarlberg ab Beginn der 1920er Jahre immer mehr eine eigenständige Sportbewegung. Obwohl sich die beiden Turnverbände Turngau und Rheingau bemühten, der zunehmenden Konkurrenz der Sportvereine entgegenzuwirken, und immer mehr Sportarten in ihren Aufgabenbereich übernahmen, war der Siegeszug der "Weltreligion des 20. Jahrhunderts" (Krüger) auch in Vorarlberg nicht aufzuhalten. 1920 wurde mit dem Vorarlberger Fußballverband der erste "reine" Sportverband des Landes gegründet. Bis 1938 folgten elf weitere Fachverbände. Von 1924 bis 1934, den "goldenen Jahren des Sports", wurde das Angebot an Sportarten immer vielfältiger, die Mitgliederzahlen der Vereine und Verbände vervielfachten sich, der Sport wurde zu einem Massenphänomen, das alle Bevölkerungsschichten erfasste. Immer mehr wurde der Sport auch zum Zuschauersport. Einzelnen Sportveranstaltungen, etwa den Motorradrundstreckenrennen 1935 und 1936 in Lustenau, wohnten mehr als 10.000 Zuschauer bei.

1925 nahm der Lustenauer Radfahrer Adolf Haug als erster Vorarlberger an einer Weltmeisterschaft teil. In den folgenden zwölf Jahren starteten Vorarlberger Sportler bei sieben Welt- und fünf Europameisterschaften sowie bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Bei der Olympiade 1936 war Vorarlberg mit sechs Sportlern vertreten: den Turnern Pius Hollenstein, Adolf Scheffknecht (beide Lustenau) und August Sturn (Kennelbach), dem Radfahrer Rudolf Huber, dem Schützen Alfred Hämmerle und dem Fußballer Ernst Künz (alle Lustenau). Ernst Künz erreichte bei diesen Spielen mit der österreichischen Fußballnationalmannschaft Silber, die erste Olympiamedaille eines Vorarlberger Sportlers. Ebenfalls Silber gewann Alfred Alge (Lustenau) bei den Europameisterschaften 1931 in Bern im Saalradsport (Einerkunstfahren). Auf nationaler Ebene wurden zwischen 1924 und 1938 in sechs verschiedenen Sportarten nicht weniger als 24 Gold-, 33 Silber- und 22 Bronzemedaillen in Einzelbewerben gewonnen.

Einen nicht unwesentlichen Beitrag zu den Erfolgen von Vorarlberger Sportlern lieferten dabei die Frauen. Trotz Widerständen vor allem von Seiten der katholischen Kirche behaupteten immer mehr Frauen ihre Position im Turn- und Sportgeschehen. Ab Mitte der 1920er Jahre kam es in verschiedenen Sportarten zur Durchführung von Vorarlberger Meisterschaften. Besonders erfolgreich waren Vorarlbergs Sportlerinnen im Schwimmen und im Skifahren. Mit acht Goldmedaillen bei österreichischen Meisterschaften war die Bregenzerin Fritzi Jelinek die überragende Vorarlberger Sportlerin der Zwischenkriegszeit.

Turnen und Sport im Nationalsozialismus

Der Anschluss Vorarlbergs an Hitlerdeutschland am 11. März 1938 beendete die Eigenständigkeit des Vorarlberger Turn- und Sportgeschehens. Die einzelnen Vereine und Verbände wurden in den "Deutschen Reichsbund für Leibesübungen" eingegliedert. Am 30. April 1941 wurde der Sportbezirk Vorarlberg aufgelöst und dem Gau Tirol-Vorarlberg unterstellt. Sportgauführer wurde der Innsbrucker Herrmann Margreiter.

1938 und 1939 errangen einige Vorarlberger Sportler schöne Erfolge. Die Lustenauer Josef Bösch und Anton Vogel gewannen im Radfahren bzw. Ringen den "Ostmarktitel", der Stubener Willi Walch erreichte bei den Weltmeisterschaften im Skilauf in Zakopane mit einem 4. Rang in der Abfahrt und einem 3. Rang im Slalom die Silbermedaille in der Kombinationswertung. Erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges trat das Sportgeschehen auch in Vorarlberg immer mehr in den Hintergrund. Lediglich im Schießen und im Bereich der Hitlerjugend wurde eine regelmäßige Wettkampftätigkeit aufrechterhalten. Stellvertretend für die vielen Vorarlberger Sportler, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen, seien drei der besten erwähnt: Ernst Künz (Fußball), Adolf Scheffknecht (Turnen) und Willi Walch (Skifahren).   L.P.

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