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Literatur in Vorarlberg vor dem Zweiten Weltkrieg

Im Jahre 1755 fand der Lindauer Arzt Jakob Oberreit im Hohenemser Palast eine Handschrift des Nibelungenliedes; kurz darauf tauchte noch eine weitere auf. Das Nibelungenlied entstand zwar nicht in Vorarlberg, doch die beiden Handschriften bildeten die Grundlage für die erste vollständige Ausgabe dieser wichtigsten mittelalterlichen Heldendichtung.

Hohenems war auch die Heimat des ersten Vorarlberger Dichters, des höfischen Epikers Rudolf von Ems aus dem 13. Jahrhundert, einem Dienstmann der Grafen von Montfort. Zwei Legendendichtungen, der 'Guote Gerhart' und "Barlaam und Josaphat", der Ritterroman "Alexander", der Minneroman "Willehalm von Orleans" und die "Weltchronik" machen Rudolf zu einem wichtigen Vertreter der spätmittelalterlichen Dichtung.
Hugo von Montfort (1357–1423) stammte aus dem Geschlecht der Grafen von Bregenz, schloss drei Ehen und spielte eine herausragende politische Rolle im Bodenseegebiet sowie in der steirischen Landespolitik. Als einer der letzten Minnesänger verfasste er Lieder, Briefe und Reden, die in einer Prunkhandschrift in Heidelberg überliefert sind. Sie handeln von Liebe, Morallehre, Toten-, Welt- und Sündenklage.

Der aus Bregenz stammende Kaplan Heinrich Beck in Schaffhausen ging als Autor einer Passionshistorie 1472 in die Literaturgeschichte ein.

In der Zeit des Humanismus war Feldkirch das Zentrum des geistigen Lebens in Vorarlberg. Aus dieser Stadt stammte auch der weit gereiste Arzt und Geograf Hieronymus Münzer (1437–1508), der in Leipzig, Pavia und Nürnberg lebte und wegen seiner kostbaren Büchersammlung sowie wegen seines Reisebuches "Itinerarium" in Humanistenkreisen sehr bewundert wurde.

Im Barock brachte es ein Vorarlberger sogar bis zur Krönung zum Dichter durch Kaiser Leopold I.: Laurentius von Schnifis, geboren als Johann Martin in Schnifis (1633–1702), ein früh verwaister Sohn armer Eltern, der mit Komödiantentruppen durch Süddeutschland und Österreich zog. Er wurde 1658 in Innsbruck am Hoftheater fest angestellt und brachte es zu beträchtlichem Ruhm als Schauspieler, Dichter und Musikant. 1665 trat er nach einer schweren Krankheit unter dem Ordensnamen Laurentius in den Kapuzinerorden ein. Mit dem Roman "Philotheus, oder deß Miranten [...] wunderlicher Weeg" schrieb er ein erfolgreiches Werk, das die Bekehrung des Höflings Mirant schildert. Auch sein "Mirantisches Flötlein", eine Sammlung von Liedern und Dialogen, war sehr beliebt. Sein posthum erschienenes Gebetbuch "Vilfärbige Himmels-Tulipan" wurde in der katholischen Kirche noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verwendet.

Das Kolleg Stella Matutina in Feldkirch war von 1649 bis 1773 das Zentrum des barocken Jesuitentheaters in Vorarlberg; 117 Aufführungen sind verbürgt, jedoch ist keiner der lateinischen Texte überliefert. In Wien, wo die glanzvollsten Aufführungen stattfanden, wirkte der Jesuit Andreas Friz, der zwar 1711 in Barcelona geboren wurde, aber aus einer adeligen Familie in Klösterle stammte und sich als Historiker und Verfasser von lateinischen Schuldramen wie dem Heldenschauspiel "Zrinyi", "Cyrus" oder "Penelope" hervortat.

Im 19. Jahrhundert begann man sich auf das Volksleben zu besinnen. So verdanken wir dem Arzt Franz Josef Vonbun aus Nüziders (1824–1870) die erste Sammlung der Sagen und Märchen aus Vorarlberg. Franz Michael Felder, der bedeutendste Vorarlberger Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, interessierte sich ebenfalls für dieses Gebiet. In diese Zeit fallen auch die Anfänge der Mundartdichtung. Am bekanntesten ist vielleicht auch heute noch das Lied "O Hoamatle, o Hoamatle" des Bregenzer Stadtarztes Kaspar Hagen (1820–1885). Ebenso sind die Dialektstücke des Bregenzerwälders Gebhard Wölfle (1848–1904), der damals öfter in Konflikte mit der Geistlichkeit geriet und auch Begründer des bis heute florierenden Bizauer Theatervereins war, noch lebendig; genauso das Lied "Uf da Berga" von Seeger an der Lutz aus Ludesch, dem Gymnastiklehrer der Kaiserin Elisabeth. Praktisch vergessen ist heute hingegen Karl von Bayer, 1835 in Bregenz geboren, Rittmeister unter Radetzky, der unter dem Pseudonym Robert Byr als viel gelesener Vielschreiber des Liberalismus mindestens 40 Romane und Erzählbände verfasste, z.B. "Anno Neun und Dreizehn", "Mit eherner Stirn", "Auf abschüssiger Bahn", "Der Weg zum Herzen" oder "Soll ich?". Alfred Meissner aus Böhmen lebte von 1869 an in Bregenz und war ein bekannter Lyriker, Erzähler und politischer Schriftsteller sowie ein persönlicher Freund Heinrich Heines. Er wurde von seinem "Ghostwriter" Franz Hedrich erpresst und beging 1885 Selbstmord.

Große Verdienste um die Literatur Vorarlbergs als Herausgeber (u.a. von Franz Michael Felder) und Sammler erwarb sich der liberale Innsbrucker Gymnasialprofessor Hermann Sander, der in den Anthologien "Vorarlberg. Land und Leute, Geschichte und Sage im Lichte deutscher Dichtung" (1891) und "Dichterstimmen aus Vorarlberg" (1895) die Literatur des 19. Jahrhunderts zusammenfasste.

Josef Wichner aus Bludenz (1852– 1923) zählte zum konservativen Lager und wurde mit seiner dreibändigen Autobiografie "Im Schneckenhause", "Im Studierstädtlein" und "An der Hochschule" sowie mit Erzählbänden als Volksschriftsteller bekannt. Als Verfasserin des historischen Romans "Frankreichs Lilien. Das Schicksal der Kinder Ludwigs XVI." (1904) erzielte Anna Hensler (1878–1952) in Vorarlberg bis dahin ungeahnte Verkaufserfolge – bis zum Zweiten Weltkrieg wurden 37.000 Exemplare verkauft.

Grete Gulbranssons (1882–1934) "Geliebte Schatten" (1936) erzählt die soziales Aufsehen erregende Liebesgeschichte ihrer Eltern, der Adeligen Wanda Douglass, geb. von Poellnitz, und des Bludenzer Malers Jakob Jehly. Gulbranssons Tagebücher aus ihren Jahren als Frau des Karikaturisten Olaf Gulbransson in München, deren erster Band 1998 unter dem Titel "Der grüne Vogel des thers" veröffentlicht wurde, bilden eine spannende Quelle zur Kunst- und Zeitgeschichte der Jahre nach der Jahrhundertwende. Der englische Reiseschriftsteller Norman Douglas (1868–1952), ihr Halbbruder, verfasste in "Together" (1931) (dt. "Wieder im Walgau") Erinnerungen an seine Zeit in Vorarlberg und war bis Robert Schneider der international bekannteste Autor aus Vorarlberg. Die Lyrikerin und Prosaistin Paula Ludwig (1900–1974), die ihre Kindheit in Feldkirch-Altenstadt verbrachte, setzte Vorarlberg in ihrer Autobiografie "Buch des Lebens" (1934) ein literarisches Denkmal.

In der Zwischenkriegszeit wurde in Vorarlberg vorwiegend bäuerliche Heimatliteratur im traditionellen Geist geschrieben. Dazu zählen die Romane und Erzählungen von Franz Michel Willam (1894–1981) und Adalbert Welte (1902–1969), der 1965 als erster Vorarlberger mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis ausgezeichnet wurde.

Aktive Anhängerin des Nationalsozialismus war Natalie Beer (1903– 1987) aus Au, die Abteilungsleiterin für Presse und Propaganda in der NS-Frauenschaft in Innsbruck wurde und nach Anfängen als Lyrikerin mit Bregenzerwälder Heimatromanen wie "Schicksal auf Vögin" (1941) und "Der Urahn" (1943) reüssierte.

Vielleicht sollte man noch daran erinnern, dass nicht nur die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger väterlicherseits aus Dornbirn stammt und deshalb vor allem von der älteren Generation als "Vorarlberger Autorin" gelesen wird, sondern dass auch aus der bis ins späte 19. Jahrhundert blühenden jüdischen Gemeinde in Hohenems eine Reihe von Schriftstellern hervorging: So stammte die Mutter von Stefan Zweig aus der Hohenemser Bankiersfamilie Brettauer, der Vater von Jean Améry nannte sich noch Maier und war ein Hohenemser Jude, und die Schweizer Erzählerin Regina Ullmann wurde in St. Gallen geboren, wohin ihr Vater, ein Arzt aus Hohenems, ausgewandert war. U.L.

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