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Die Revolution von 1848/49 in Vorarlberg

Als gegen Ende der ersten Märzwoche des Jahres 1848 Nachrichten über die revolutionären Ereignisse in Italien, in Frankreich, in der Schweiz sowie in Süd- und Südwestdeutschland Vorarlberg erreichten, wirkten sie, um die Worte des Dornbirner Landrichters Ratz zu verwenden, wie eine 'außerordentliche Sensation'. Die Erwartungen, welche die Bevölkerung damit verband, waren jedoch nach Herkunft, Stand und sozialer Lage sehr unterschiedlich: Bei der "vermöglichen Volksklasse" dominierten oft Kriegsfurcht und die Angst um den eigenen Besitz; bei den vielen Saisonwanderern, die jedes Jahr nach Frankreich oder in die Schweiz zogen, um dort Arbeit zu suchen, stand naturgemäß die Sorge im Vordergrund, dass ihnen infolge der unruhigen Zeiten der Eintritt in diese Länder verwehrt werden könnte. Andere wiederum verknüpften die Nachrichten mit der Hoffnung, "bei einem allgemeinen Wirrwarr etwas zu gewinnen". Aus dem Blickwinkel der Beamtenschaft betrachtet, herrschte, um nochmals den Dornbirner Landrichter zu zitieren, eine "mit Vorsicht zu überwachende Aufregung" im Lande. Diese Sorge schien angesichts des vorhandenen Konfliktpotenzials durchaus berechtigt. Die Zeit seit dem Wiener Kongress war durch eine Reihe von Krisen gekennzeichnet: So wurden die drei Jahrzehnte vor der Revolution durch die zwei letzten Wirtschafts- oder Teuerungskrisen der "alten Art" – darunter verstand man Krisen, die hauptsächlich durch die Wechselfälle der Natur ausgelöst wurden – gleichsam eingerahmt. 1817 hatte eine schwere Hungersnot das Land heimgesucht, 1845 bis 1847 war es die in fast ganz West- und Mitteleuropa grassierende Kartoffelfäule, welche die Lebensumstände großer Teile der Bevölkerung dramatisch verschlechterte. Die Lebensmittelpreise wurden noch dadurch zusätzlich in die Höhe getrieben, dass die in die Wege geleiteten Hilfsmaßnahmen durch Spekulationen teilweise ihrer Wirkung beraubt wurden: In Grenzgemeinden wie Lustenau umgingen beispielsweise die Bäcker die hohen Exportzölle für Getreide, indem sie in großem Stil Brot in die Schweiz verkauften. Der "Agrarschock" der Jahre 1845 bis 1847 trug mit all seinen Begleiterscheinungen nicht unwesentlich zur Destabilisierung des politischen Systems im Lande bei.

Für viele Vorarlberger bildete die österreichische Politik des Vormärz einen steten Stein des Anstoßes: Die rigorose Haltung bei der Erteilung von Ferggerlizenzen, das nicht selten als schikanös empfundene Verhalten der Zollbeamten, staatliches Tabakmonopol und hohe Verzehrsteuer riefen ebenso den Unmut der Bevölkerung hervor wie eine strenge, von einem ausgeprägten Harmoniebedürfnis getragene Zensur und ein tief in die Privatsphäre eindringender staatlicher Regelungswahn. Hinzu kam noch, dass sich die in Zusammenhang mit dem Aufstand von 1809 und den Befreiungskriegen gegen Napoleon geweckten demokratischen Hoffnungen nicht erfüllt hatten. Diese Krisenphänomene verdichteten sich in den Jahren vor der Revolution zusehends. Die zunehmenden sozialen Spannungen fanden Ausdruck in einer Häufung schwerer Delikte wie Raufhändel, Beleidigungen und Diebstähle. Die Krise des bürokratischen Obrigkeitsstaates äußerte sich in Akten des versteckten Widerstandes wie Schmuggel oder Holzdiebstahl.

Als Mitte März 1848 die Nachricht von der Gewährung der Pressefreiheit Vorarlberg erreichte, wurde dieses Ereignis in den Städten und den größeren Gemeinden mit Freudenkundgebungen gefeiert. Freilich wurde die neue Freiheit mancherorts recht eigenwillig interpretiert. Kreishauptmann Ebner musste jedenfalls feststellen, dass "dem Vernehmen nach unter dem gemeinen Volke [...] falsche Begriffe herrschen und die Pressfreiheit von manchen als Zollfreiheit ausgelegt werden soll".

Um das vorhandene Unruhepotenzial in die europäische Revolution jenes Jahres münden zu lassen, bedurfte es einer oppositionellen Gruppe, die bereit und entschlossen war, die Gunst der Stunde zu nützen, um einen Systemwandel herbeizuführen. In diesem Sinn fand das eigentliche revolutionäre Ereignis in Vorarlberg am 18. April 1848 statt, als liberale Demokraten und Fabriksarbeiter unter Führung des Fabrikanten Carl Ganahl den in Feldkirch zusammengetretenen Landtag sprengten, der in ihren Augen auf undemokratische Weise gewählt worden war – durch ein Gremium von Wahlmännern, bestehend aus den Gemeindevorstehern und den Gemeindeausschüssen. Kreishauptmann Ebner musste schließlich einer Neuwahl nach demokratischen Prinzipien zustimmen. Das erste wirkliche Landesparlament Vorarlbergs, dem nun auch Vertreter der ehemals reichsunmittelbaren Gebiete Hohenems, Lustenau, Blumenegg und St. Gerold angehörten, setzte sich die Ausarbeitung einer Landesverfassung und die Loslösung von Tirol zum Ziel. Seine Arbeit endete am 4. März 1849 mit der Oktroyierung der zentralistischen Verfassung. Das Land verlor seine eben erst beanspruchte Selbstständigkeit und seine neue Verfassung. Es wurde wieder mit Tirol vereinigt.

Das Revolutionsjahr brachte eine zunehmende Politisierung der Bevölkerung, vor allem der bürgerlichen Schichten. Die Vorarlberger Liberalen, die sich im Bregenzer "Patriotischen Verein der Volksfreunde" zusammenfanden – von seinen Gegnern schlicht als "Heidenklub" bezeichnet –, vertraten insgesamt ein gemäßigt liberales Programm, zu dessen Kernpunkten die Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie, die Bildung eines großdeutschen Nationalstaates unter Einschluss ganz Österreichs, Pressefreiheit, Schaffung einer Nationalgarde, allgemeines Männerwahlrecht und vor allem die Loslösung Vorarlbergs von Tirol zählten. Obgleich aus den Reihen des "Heidenklubs" auch handfeste antiklerikale ußerungen zu vernehmen waren, zählte zu seinen prominentesten Vertretern auch ein Geistlicher: der liberale Bildsteiner Pfarrer Johann Georg Hummel.

Die Mehrzahl der Vorarlberger Geistlichen vertrat jedoch ein anderes Programm. Auch die Kirche versuchte die Gunst der Stunde zu nützen, um das politische System in ihrem Sinn zu verändern. Ihr ging es darum, sich aus der staatlichen Kontrolle zu lösen, der sie seit den Zeiten des österreichischen Reformabsolutismus unterworfen war. Es gelang ihr dabei, die Bevölkerung in ihrem Sinn nicht unwesentlich zu politisieren. So konnten beispielsweise für die vom "Katholisch-Konstitutionellen Verein" initiierte Petition zur Aufhebung des Toleranzpatents für Tirol und Vorarlberg allein in Lustenau 357 Unterschriften gesammelt werden.

Bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, zum Reichsrat in Wien und zum Tiroler Landtag setzten sich dann vor allem konservative Kandidaten durch, unter ihnen die beiden Geistlichen Josef Fessler und Jodok Stülz.

Neben diesen Ereignissen der so genannten "Institutionen-Revolution", zu deren Zielen die Errichtung eines Nationalstaates und einer Staatsbürgergesellschaft zählte und die das Erreichte durch institutionelle Reformen abzusichern trachtete, verdient auch die so genannte "elementare Revolution" Beachtung, die einer eigenen Logik folgte. Die für sie typischen Methoden wie anonyme Beschuldigungen, nächtliche Zusammenrottungen, Katzenmusiken, Androhung körperlicher Gewalt, kollektive Drohgebärden etc. lassen sich im Revolutionsjahr in vielen Vorarlberger Ortschaften beobachten. Sie stammten samt und sonders aus dem Repertoire der traditionellen Protestformen vornehmlich der ländlichen Bevölkerung. Die "elementare Revolution" wurde von den Behörden durchaus ernst genommen und trug nicht unwesentlich zu deren Nachgiebigkeit bei. In einer Art Wechselwirkung verstärkten sich die "Institutionen-Revolution" und die "elementare Revolution" gegenseitig. So konnte es dazu kommen, dass die staatlichen Behörden 1848 auch in Vorarlberg ihre Autorität fast völlig einbüßten. Indizien dafür sind etwa der offene Schmuggel in Grenzgemeinden wie Lustenau und Höchst oder die demonstrative Missachtung des staatlichen Tabakmonopols in Frastanz.

Mit dem Sieg der Reaktion im März 1849 kam auch Vorarlberg in den Genuss des so genannten Neo-Absolutismus, der rund eineinhalb Jahrzehnte rigoroser Polizeistaatlichkeit brachte. Einige der liberalen Protagonisten des Revolutionsjahres, unter ihnen auch der Bildsteiner Pfarrer Johann Georg Hummel, suchten ihr Heil in der Emigration in die USA. Die im Lande Zurückgebliebenen wurden noch lange polizeilich observiert.  W. Sch.

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Bild: Der vom Vorarlberger Landtag des Jahres 1848 erarbeitete Verfassungsentwurf
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Bild: Die Paulskirche in Frankfurt 1848, das Zentrum der Revolution in Deutschland
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Bild: Im Sitzungssaal des Fedkircher Rathauses sprengten liberale Bürger und Fabrikanten unter der Führung von Carl Ganahl die Zusammenkunft des Landtags
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