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Vorarlberger Landesverfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts

Die landständische Verfassung 1391–1808


Vorarlberg hatte von 1391 bis 1808 eine ungeschriebene Verfassung, die auf Gewohnheitsrecht beruhte. Die drei Städte Feldkirch, Bludenz und Bregenz (Bürger) sowie 21 ländliche Gerichte (Bauern) traten auf Landtagen zusammen, die vom Landesfürsten einberufen wurden und auf denen vor allem über die Steuern und die Landesverteidigung diskutiert wurde. Diese Vorarlberger Verfassung unterschied sich von den landständischen Verfassungen der meisten anderen österreichischen Länder dadurch, dass in ihr nur Bürger und Bauern, nicht aber der Adel und die Geistlichkeit vertreten waren. Durch den Ausfall gerade solcher kapitalkräftiger Gruppen fehlte den Vorarlberger Landständen eine stärkere Repräsentationsmöglichkeit nach außen; insbesondere verfügten sie über kein eigenes Landhaus (stattdessen benützte man im Wechsel die Rathäuser von Feldkirch und Bregenz als Tagungsorte). Im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, also etwa seit Maria Theresia, wurde die politische Macht der Landstände stark ausgehöhlt. Wenn nach dem Übergang Vorarlbergs an Bayern die ständische Verfassung schließlich 1808 ganz aufgehoben wurde, so bedeutete das weniger eine spürbare Einschränkung der Mitspracherechte des Volkes, die kaum mehr gegeben waren, als vielmehr die Aufhebung der politischen Existenz des Landes Vorarlberg überhaupt, das dem bayerischen Illerkreis mit der Hauptstadt Kempten zugeordnet wurde.

Die erneuerte landständische Verfassung 1816–1848


Nach der Rückgabe Vorarlbergs an Österreich am 7. Juli 1814 versammelten sich schon wenige Tage später die Landstände zu einem Landtag in Feldkirch. Die Landstände hatten also die Zeit ihrer Aufhebung überlebt und sahen es jetzt als ihre Aufgabe an, die Wünsche der Bevölkerung für die Zukunft zu artikulieren. Die alte Verfassung sollte wiederhergestellt werden, ebenso die alte Gerichtsverfassung und die Landesverteidigung. Gefordert wurde auch die Integration der ehemals reichsfreien Gebiete Hohenems, Lustenau, Blumenegg und St. Gerold (ja auch des Fürstentums Liechtenstein) in die Vorarlberger Landstände. Nach längerem Zögern fasste Kaiser Franz I. am 12. Mai 1816 eine Entschließung über die Wiederherstellung der Vorarlberger Landstände. Die Standesrepräsentanten der alten 19 Stände wurden noch im selben Jahr gewählt (ohne die bei Bayern verbliebenen fünf westallgäuischen Gerichte und auch ohne die neu hinzugekommenen Gebiete Hohenems, Lustenau, Blumenegg, St. Gerold). Der Wirkungskreis der Landstände blieb ungeregelt, das Steuerbewilligungsrecht blieb den Ständen versagt. So blieb diese Wiederherstellung der landständischen Verfassung eine halbe Sache; sie erfolgte mehr oder weniger nur auf dem Papier. Als anlässlich der Revolution von 1848 erstmals wieder ein Vorarlberger Landtag zusammentreten sollte, waren alle Abgeordneten bis auf einen gestorben. Vorarlberg war in den drei Jahrzehnten vor 1848 ohne jedes Verfassungsleben geblieben.

Der Verfassungsentwurf von 1848


Nach dem Sieg der Demokratie von 1848 schuf die neu gewählte Vorarlberger Ständeversammlung eine neue Verfassung. Federführend war der Feldkircher Bürgermeister Fidel Markus Wohlwend. Der Entwurf knüpfte an die alten landständischen Traditionen an: Der 39 Abgeordnete umfassende Landtag setzte sich ausschließlich aus Bürgern und Bauern zusammen. Vorsitzender war nicht mehr der ranghöchste staatliche Beamte (Kreishauptmann), sondern ein aus der Mitte des Landtags zu wählender Landeshauptmann; die Einberufung des Landtags sollte damit nicht länger vom Willen der Regierung abhängig sein. Der Landtag sollte abwechselnd in Feldkirch und in Bregenz tagen. Dieser Verfassungsentwurf wurde jedoch nicht realisiert, da sich in Wien der Absolutismus durchsetzte und die Revolution scheiterte.

Die oktroyierte zentralistische Verfassung von 1849


Das Scheitern der Revolution brachte für das Land Vorarlberg neuerlich den Verlust der politischen Existenz. Vorarlberg wurde durch die oktroyierte Verfassung mit Tirol vereinigt; im Tiroler Landtag saßen elf Vorarlberger (von insgesamt 84 Abgeordneten): zwei Vertreter der Städte, sechs Vertreter der Landgemeinden und drei Vertreter der Höchstbesteuerten. Der demokratische Grundzug des Verfassungsentwurfs von 1848 war damit preisgegeben. Die Vorarlberger Abgeordneten hatten kaum mehr die Möglichkeit, die Landesinteressen wirksam zu vertreten. Dazu kam, dass der Landtag nur sehr beschränkte Kompetenzen hatte.

Die Landesordnung von 1860


Die außenpolitischen Misserfolge Österreichs in Italien 1859 zwangen den Kaiser zum Einlenken in der Verfassungsfrage. Eine Vorarlberger Delegation forderte im November 1859 die Loslösung von Tirol aus geografischen, historischen und politischen Gründen. Obwohl die Meinungen dazu geteilt waren, setzte sich die Ansicht durch, dass Vorarlberg wieder einen eigenen Landtag haben sollte. Entscheidend für diese Ansicht wurde die rechtliche Erwägung, dass Kaiser Franz I. bereits 1816 die Vorarlberger Landstände wiederhergestellt hatte. Die mit dem Oktoberdiplom von 1860 für Vorarlberg erlassene Landesordnung lehnte sich eng an den demokratischen Verfassungsentwurf von 1848 an. Die 20 Abgeordneten wurden demokratisch gewählt, d.h. ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche Klassen (Adel, Geistlichkeit, Höchstbesteuerte). Der Landeshauptmann wurde zwar vom Kaiser ernannt, doch konnte der Landtag die Einberufung des Landtags erzwingen. Die Frage des Landtagssitzes blieb ungeregelt. Das Oktoberdiplom von 1860 scheiterte am Widerstand Ungarns, sodass diese demokratische Landesverfassung erneut zum Scheitern verurteilt war.

Die Landesordnung von 1861


Durch das Februarpatent von 1861 erhielt Vorarlberg zwar dennoch wieder einen eigenen Landtag; doch entfernte sich die Landesordnung von 1861 wieder sehr stark von den demokratischen Vorbildern von 1848 und 1860. Von den 20 Sitzen des Landtags fiel einer dem Generalvikar (Weihbischof in Feldkirch) kraft Amtes zu (ohne Wahl). Zudem trat an die Stelle eines allgemeinen Wahlrechts ein Censuswahlrecht, das an eine jährliche Steuerleistung von fünf Gulden gebunden war; wer weniger Steuern bezahlte, war vom Wahlrecht ausgeschlossen. Teilweise wurden die Abgeordneten auch indirekt gewählt. Den Vorsitz im Landtag führte der vom Kaiser ernannte Landeshauptmann. Ungeachtet dieser Mängel wurde die Wiederherstellung des Landtags und damit der politischen Existenz des Landes am 6. April 1861 gebührend gefeiert: Das Land erhielt damit erstmals seit 1808 ein echtes Verfassungsleben zurück. Gleichwohl blieb Vorarlberg verwaltungsmäßig weiterhin Innsbruck unterstellt. Die Vorstöße von 1907 und 1913, eine von Tirol unabhängige Verwaltung zu erreichen, blieben ohne Erfolg.
Der Entwurf einer föderalistischen Reichsverfassung von 1918

Gegen Ende des Ersten Weltkrieges verkündete der US-amerikanische Präsident Wilson im Januar 1918 seine 14 Punkte, die u.a. eine autonome Entwicklung für die Völker der Habsburgermonarchie vorsahen. Die Regierung in Wien versuchte in den folgenden Monaten die vom Zerfall bedrohte Monarchie in einen föderalistischen Staat umzuwandeln. Ein im Februar 1918 entstandener Entwurf zu einer föderalistischen Reichsverfassung sah für das Land Vorarlberg einen von Tirol unabhängigen Status vor, und zwar in politischer wie auch in verwaltungsmäßiger Hinsicht.

Die Landesverfassung von 1919


Am 3. November 1918 erklärte das Land Vorarlberg seine Selbstständigkeit. Dieser Schritt wird gewöhnlich als ein revolutionärer Akt gesehen; da sich jedoch kein Widerstand dagegen erhob, darf man wohl annehmen, dass er durch die Föderalisierungstendenzen der Reichsregierung vorbereitet gewesen war.
Die Landesverfassung von 1919, an deren Zustandekommen vor allem Dr. Johann Josef Mittelberger federführend beteiligt war, knüpfte an die – nicht realisierten – demokratischen Verfassungstraditionen von 1848 und 1860 wieder an, ja ging weit darüber hinaus, da zum einen mit dem Zusammenbruch der Monarchie die bisherige ständische Gesellschaft beseitigt worden war, zum anderen die Diskussion über einen Anschluss an die Schweiz eine enge Anlehnung der Landesverfassung an Schweizer Kantonsverfassungen nahe legte.

Die Landesverfassung von 1919 musste auch keinerlei Rücksichten auf eine Bundesverfassung nehmen, da eine solche noch nicht bestand. Die Landesverfassung von 1919, die generell offen ließ, ob dieser Bundesstaat Österreich oder die Schweiz sein würde, nahm in starkem Maße Elemente der direkten Demokratie auf, insbesondere das Volksbegehren ('Initiative') und die Volksabstimmung ("Referendum"). Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde ein allgemeines Wahlrecht verwirklicht, das – auf Grund eines österreichischen Bundesgesetzes vom Dezember 1918 – auch die Frauen mit einschloss.

Die Landesverfassung von 1923


Das Scheitern des angestrebten Anschlusses an die Schweiz (noch am 27. März 1920 hinterlegte das Land beim Völkerbund in Genf ein Memorandum über sein Selbstbestimmungsrecht) führte zu der schon am 3. November vorgesehenen Eingliederung Vorarlbergs in einen österreichischen Bundesstaat, der sich am 1. Oktober 1920 eine Verfassung gab. Der Landtag beschloss am 30. Juli 1923 eine neue Landesverfassung, die sich den Gegebenheiten der Bundesverfassung von 1920 anpasste. Diese Landesverfassung von 1923 wurde 1984 grundlegend überarbeitet und erneuert. K.H.B.

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Bild: Zusammensetzung des Landtags nach der landständischen Verfassung
Zusammensetzung des Landtags nach der landständischen Verfassung
Bild: Zusammensetzung des Landtags nach dem Verfassungsentwurf von 1848
Zusammensetzung des Landtags nach dem Verfassungsentwurf von 1848
Bild: Zusammensetzung des Landtags nach der Landesordnung von 1860
Zusammensetzung des Landtags nach der Landesordnung von 1860
Bild: Zusammensetzung des Landtags nach der Landesordnung von 1861
Zusammensetzung des Landtags nach der Landesordnung von 1861
Bild: Zusammensetzung des Landtags nach der Landesverfassung von 1919
Zusammensetzung des Landtags nach der Landesverfassung von 1919
Bild: Die Vorarlberger Landesverfassung vom14. März 1919
Die Vorarlberger Landesverfassung vom14. März 1919